Was wir nicht haben, ist die Zeit

Hier soll es um die Grundlagen der menschlichen Erkenntnis gehen. Wie gelangen wir zu unserem Wissen. Wie könnnen wir uns dessen sicher sein, was wir zu wissen glauben.

Moderator: aleph1

Was wir nicht haben, ist die Zeit

Beitragvon Oneiro » Sonntag 5. Februar 2012, 21:12

Es ist schon seltsam, wir Menschen nehmen unsere Besitztümer, als zu selbstverständlich in ihrem Dasein an, so als wären sie einfach immer da.
Obwohl wir wissen, das wir nichts mit ins Grab nehmen, dass unser gesamter Besitz der Vergänglichkeit unterworfen ist, machen wir uns die Vergänglichkeit der Materie, die ewige Wandlung von Energie, nur sehr selten wirklich bewusst. Es ist eine erschütternde Erkenntnis, das wir irgendwann alles loslassen müssen, all unsere liebsten Sammlungen für immer verschwunden sind, wertlos. Durch einen Hausbrand können wir ja jederzeit alles verlieren.
Die Zeit können wir nicht besitzen und dadurch, dass sie immer unbesitzbar "ist", "wird" auch unser gesamter vermeintlicher Besitz unbesitzbar.
Wir Menschen sind so stolz auf all unsere Sammlungen, aber wir besitzen in Wahrheit überhaupt nichts. Es stehen Bücher in unseren Regalen, die wir nie wieder lesen werden, Schallplatten, die wir nie wieder auflegen und dennoch hängen wir an den Staubfängern, würden sie niemals hergeben wollen.
Warum fällt es uns so schwer von allem Vergänglichen los zu lassen? Nur der Wandel von allem, ist das einzigst beständige, nichts ist so beständig wie Vergänglichkeit.
Aus der Ewigkeit heraus betrachtet, gibt es keinen Besitz, alles was wir "haben" ist ausgeliehen.

"Hast du kurz Zeit ?" Nein ich habe keine Zeit, niemand "hat" Zeit und niemand kann sich Zeit "nehmen" ;)
"Einen Traum kann man nicht bauen, ein Traum baut sich. Er entzieht sich unserem Willen. Er kommt uns, oder er kommt uns eben nicht.
Der Traum hat sein eigenes Reich, und dieses Reich herrscht, wo die Möglichkeit einer Willenskraft ausgeschaltet ist.
In der Nacht schläft das Wollen, und wenn es nicht schläft, schlafen auch wir nicht."
Friedrich Weinreb - Kabbala im Traumleben des Menschen
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Re: Was wir nicht haben, ist die Zeit

Beitragvon Der Neandertaler » Dienstag 7. Februar 2012, 09:50

Hallo Oneiro.
Oneiro hat geschrieben:"Hast du kurz Zeit ?" Nein ich habe keine Zeit, niemand "hat" Zeit und niemand kann sich Zeit "nehmen"
Es liegt einerseits in der Natur des Menschen, Besitztümer zu beanspruchen. Aber auch erst, seit er dazu in der Lage ist – heißt:
    seit er die Möglichkeit dazu besitzt.
Als der Mensch noch Jäger und Sammler war, kannte er wenig Besitz. Aus mehreren Gründen:
    erstens zog er mit den Herden seiner Beutetiere umher – er konnte also nicht viel mitschleppen, zweitens:
      er war um's Überleben bemüht – er war also dem Tod recht nahe, ihm war seine eigene Vergänglichkeit eher bewußt.
Es mag sein, daß sich auch in dieser – und nachfolgender – Zeit, Besitzansprüche entwickelten –
mein Clan besitzt die Fähigkeit, Feuer zu erzeugen … eurer nicht
– da man aber verstärkt aufeinander angewiesen war – zumindest innerhalb eines Clans, durfte man niemanden ausgrenzen. Auch weil jeder seinen Teil zum Wohle und zum Überleben des Clans beizutragen hatte –
das Individuum zählte wenig.

Erst seitdem der Mensch Ackerbau und Viehzucht betreibt, seitdem er seßhaft wurde, hat er den ausgeprägten Anspruch auf Besitz entwickelt.
Letztlich hat der Anspruch auf erworbenen Besitz viel mit Egoismus zutun. Wobei gegen Besitz ja nichts Grundsätzliches einzuwenden ist, wenn, ja wenn er nicht ausgrenzt, wenn er also dem Allgemeinwohl dient.

Besitz, den unsere Eltern erworben haben – Menschen, die nach dem II. Weltkrieg ja praktisch wieder bei Null beginnen mußten – hat eher mit Verdrängung zutun, mit der Angst vor der eigenen Schuld, eventuelle Schuld die zu dem ganzen Schlamassel führte, zum Holocaust, letztlich zum II. Weltkrieg – deshalb stürzten sie sich in Arbeit und erwarben so Besitz.

Besitz hat mit Angst zutun. Angst um Ansprüche, aber auch Angst vor'm Versagen.
Besitz erzeugt aber nicht nur Angst – bloß nichts verlieren! – sondern Besitz entwickelt sich auch darin … durch Angst.
    Je unsicherer die Zeiten werden, umso mehr richten sich die Leute in ihren eigenen vier Wänden häuslich ein, umso mehr schotten sie sich ab.
    Je unsicherer mein Arbeitsplatz ist, umso mehr werde ich kämpfen. Je mehr ich kämpfe, umso egoistischer werde ich, umso mehr schotte ich mich ab, umso vehementer verteidige ich meinen "Besitz".
Beides bedingt sich also. Armut schweißt zusammen … sagt man.

Heutiger Besitzanspruch ist aber mehr unserer schnellebigen Zeit geschuldet. Je mehr Dinge, wie Wissen oder sonstige Güter, zum Allgemeingut erklärt werden, je mehr diese für jedermann zugänglich werden, umso wichtiger wird Besitz – um sich vom Nachbarn abzugrenzen.
Wobei unter Besitz vieles verstanden werden muß:
    materielle Dinge – wie Haus, Auto und dergleichen – aber auch Arbeitsplatz oder Zeit.
schau mal, der hat 'nen VW – ich kauf mir 'nen BMW
    Der Millionär bezeichnet vielleicht eine Villa als seinen Besitz ... oder diversen Schmuck – der Hartz-IV-Empänger vielleicht seine spärliche Wohnung oder die Zeit, die er "gewinnt".
Besitz hat also folglich wenig mit "Reichtum" zutun – ist also eher subjektiv.
Ihr habt die Uhr – wir haben Zeit!
besagt ein afrikanisches Sprichwort
Beides fällt unter "Besitz".

Fazit:
    Besitz ist immer individuell, meist subjektiv.
Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont.

Die Welt ist so geräumig und der Kopf ist so beschränkt.

Zpět k budoucnosti ke nejlebší čas.


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Re: Was wir nicht haben, ist die Zeit

Beitragvon elfenpfad » Dienstag 7. Februar 2012, 17:30

Hallo @Oneiro

Interessanter Thread !

Oneiro hat geschrieben:Wir Menschen sind so stolz auf all unsere Sammlungen, aber wir besitzen in Wahrheit überhaupt nichts. Es stehen Bücher in unseren Regalen, die wir nie wieder lesen werden, Schallplatten, die wir nie wieder auflegen und dennoch hängen wir an den Staubfängern, würden sie niemals hergeben wollen.


Meine Meinung dazu ist folgende: Warum sich nicht auch an solchen Dingen erfreuen, und sie auch sammeln? Wichtig ist, dass wir unser Herz nicht zu sehr an Vergängliches hängen, und nicht unseren Lebenssinn darin suchen und daran festmachen.

Oneiro hat geschrieben:Obwohl wir wissen, das wir nichts mit ins Grab nehmen, dass unser gesamter Besitz der Vergänglichkeit unterworfen ist, machen wir uns die Vergänglichkeit der Materie, die ewige Wandlung von Energie, nur sehr selten wirklich bewusst. Es ist eine erschütternde Erkenntnis, das wir irgendwann alles loslassen müssen, all unsere liebsten Sammlungen für immer verschwunden sind, wertlos. Durch einen Hausbrand können wir ja jederzeit alles verlieren.


Wir sollten uns der Vergänglichkeit natürlich bewusst sein, und es sollte zu keiner Erschütterung führen, wenn diese liebgewonnenen Dinge verloren gehen, so wie alles ja vergänglich ist, bezw. einem ständigen Transformationsfluss unterliegt. So wie Du ja schon in diesem Satz auch ausdrücktest:
Oneiro hat geschrieben:Nur der Wandel von allem, ist das einzigst beständige, nichts ist so beständig wie Vergänglichkeit.


Oneiro hat geschrieben:Warum fällt es uns so schwer von allem Vergänglichen los zu lassen?


Viele Menschen haben den wahren Sinn unseres Lebens hier auf Erden nicht bezw. noch nicht erkannt. Sie haben Angst vor dem Wandel, dem wir alle unterliegen. Sie fühlen sich mit dem Vertrauten in ihrer Umgebung sicher, und halten diese Scheinsicherheit fest, so lange wie möglich.

Oneiro hat geschrieben:Die Zeit können wir nicht besitzen und dadurch, dass sie immer unbesitzbar "ist", "wird" auch unser gesamter vermeintlicher Besitz unbesitzbar.
"Hast du kurz Zeit ?" Nein ich habe keine Zeit, niemand "hat" Zeit und niemand kann sich Zeit "nehmen" ;)


Wenn wir im "Hier und Jetzt" leben, dann gibt es keinen Zeitbegriff, denn dieser ist ein Begriff, den das Ego geschaffen hat.

Dieses Zitat drückt es schön aus:

"Eine Stunde ist nicht nur eine Stunde; sie ist ein mit Düften, mit Tönen, mit Plänen und Klimaten angefülltes Gefäß. Was wir die Wirklichkeit nennen, ist eine bestimmte Beziehung zwischen Empfindungen und Erinnerungen.
Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Bde. 1-3"

Liebe Grüsse : )
"Nur das Denken, das wir leben, hat einen Wert.
Hermann Hesse, Demian, Gesammelte Werke Bd. 5"
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