EU-Erweiterung(en) - Erfolg ... auch von Politik?

Moderator: enegh

EU-Erweiterung(en) - Erfolg ... auch von Politik?

Beitragvon Der Neandertaler » Sonntag 27. April 2014, 19:33

1993 wurden mit Artikel 49 des EU-Vertrags die sogenannten 'Kopenhagener Kriterien' formuliert.
(freiheitlich-demokratische Staatsform, Rechtsstaatlichkeit, Achtung der Menschenwürde, etc.)
Somit sollte jedem europäischen Land das Recht eingeräumt werden, die Mitgliedschaft zur Europäischen Union zu beantragen, wenn es zuvor in der Gesamtheit EU-Recht umsetzt ('Acquis communautaire') - ohne einen Rechtsanspruch auf Erwerb der Mitgliedschaft, versteht sich.
Nachfolgend kam es dann am 1. Mai 2004 zur Fünften EU-Erweiterung.
(Osterweiterung, Teil I - 'Luxemburg-Gruppe': Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien, Malta und Zypern)

Die Emotionen kochten bei der Vorstellung hoch, daß mit der Mitgliedschaft auch sogleich die umfängliche Arbeitnehmerfreizügigkeit erworben wird. Mancherorts artete dies zusehends hysterisch aus. Deutschland würde durch "billige Arbeits-Konkurrenz" geradezu überschwemmt, was zu "sozialen Verwerfungen" führen würde. Man konnte zeitweise den Eindruck bekommen, durch "Tourismus in den Wohlfahrtsstaat" wäre der Untergang des Abendlandes vorprogrammiert.
Das stammtischmäßige und lautstarke Flehen wurde erhört - Brüssel beschloß, auf Druck von Deutschland und Österreich, daß innerhalb der EU eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für die neuen Mitgliedsstaaten gelten solle.
(Einschränkungen nach der Formel: 2-3-2 - Ausnahme: Malta - Zypern)
Diese Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit galt allerdings in letzter Konsequenz nur in Deutschland und Österreich - vollständige Freizügigkeit dort: 1. Mai 2011.
Auch bei der Sechsten EU-Erweiterung 2007 (Osterweiterung, Teil II: Bulgarien - Rumänien) wurden unbändige, aber vertraute Ängste geschürt:
"sozialen Verwerfungen", "Tourismus in den Wohlfahrtsstaat", "billige Arbeits-Konkurrenz", ect.
Der Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer aus Rumänien und Bulgarien ist in Deutschland und Österreich erst seit dem 1. Januar 2014 vollständig geöffnet. Weitere EU-Erweiterungen stehen noch an!

Man kann nun grundsätzlich zu Studien stehen wie man will (unabhängig der Auftraggeber), das Problem ist nur, wenn man ihnen negativ gegenübersteht, daß man dann eigene Erhebungen vornehmen müßte - dies wäre allerdings vielleicht nicht ganz leicht umzusetzen!?!
Das Institut zur 'Zukunft der Arbeit' (IZA) hat nun untersucht, ob und welche Auswirkungen die EU-Erweiterung von 2004 gehabt hat.
Tenor:
    "Ursprüngliche Vorbehalte, die Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für Osteuropäer führe hierzulande zu sozialen Verwerfungen und einem vermeintlichen Tourismus in den Wohlfahrtsstaat", haben sich danach nicht ergeben. Auch sei zudem das Lohnniveau in der EU nicht gesunken.
    "Wirklich billig sind die Arbeitnehmer in den neuen EU-Staaten bei Reallohnsteigerungen von zehn Prozent inzwischen auch nicht mehr", weswegen auch keine große Zahl an Arbeitsplätzen aus Deutschland in diese neuen Mitgliedsstaaten verlagert worden seien, sagte IZA-Direktor Klaus Zimmermann.
Der Bonner Volkswirt Michael Grömling zitiert aus einer Studie, die er unter tausenden deutscher Firmen für das arbeitgebernahe Institut durchführte. Danach ging die Osterweiterung "offensichtlich ohne große Umwälzungen in den deutschen Unternehmen einher."

Wohlgemerkt:
    Daß speziell Ruhgebietsstädte anspruchsvollen, teilweise präkeren Herausforderungen gegenüberstehen, ist fast nicht zu übersehen. Georgi Nenov vom bulgarischen Botschaftsrat in Berlin erklärt dazu:
    "Für viele Bulgaren ist es verlockend nach Deutschland zu ziehen, weil das Lebensniveau und das mittlere Einkommen viel höher ist."
Aber im Falle der EU-Erweiterung um Bulgarien und Rumänien überwiegend von "Armutsflüchtlinge" zu reden, die uns schaden wollen?
Erweiterungen haben doch grundsätzlich den Vorteil, daß man wirtschaftlich und politisch auf diese Länder einen gewißen Einfluß ausüben könnte.
(s.: Ungarn)
Nimmt man nun letztere Aussage vom bulgarischen Botschaftsrat, stellt sich die Frage, ob es nicht besser wäre, würde man anstatt den heimischen Arbeitsmarkt abzuschotten (durch Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, oder gleich durch Unterbindung einer EU-Mitgliedschaft dieser Länder), würde man nicht besser versuchen, den Lebensstandart der dortigen Bevölkerung zu heben?
    (damit diese Leute erst garnicht auf die Idee kommen müßten, auswandern zu müssen. Auch, damit sie langfristig in der Lage wären, unsere 'teuren' Produkte kaufen zu können?)
Die EU würde überdurchschnittlich von gut ausgebildeten Arbeitskräften aus diesen Ländern profitieren können - wenn sich Politik in dieser Hinsicht sinnvoll verhält! Dies dürfte insbesondere für Deutschland gelten - aufgrund seiner Lage und Wirtschaftskraft. Deutschland hat dies leider bei den zurückliegende Erweiterungen versäumt - die bestsausgebildeten Arbeitnehmer sind schon lange in Frankreich, Irland oder den skandinavischen Ländern.
    Schroeder sei dank!
Ansonsten sind die EU-Erweiterungen (langfritig gesehen) ein Erfolg!
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Re: EU-Erweiterung(en) - Erfolg ... auch von Politik?

Beitragvon nocheinPoet » Dienstag 29. April 2014, 09:19

Ich halte die EU auch für den richtigen Weg, er muss nur richtig beschritten werden, und wenn ich mir das Parlament ansehe, die Reisekosten und einiges mehr, dann würde ich sagen, auf dem Wege sieht wohl anders aus. ;)
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Re: EU-Erweiterung(en) - Erfolg ... auch von Politik?

Beitragvon Der Neandertaler » Dienstag 29. April 2014, 14:17

Hallo nocheinPoet.
nocheinPoet hat geschrieben:Ich halte die EU auch für den richtigen Weg, er muss nur richtig beschritten werden, und wenn ich mir das Parlament ansehe, die Reisekosten und einiges mehr, dann würde ich sagen, auf dem Wege sieht wohl anders aus. ;)
JA!
Ich halte jedwede Erweiterung grundsätzlich (aus verschiedenen und schon benannten Gründe) für richtig und gut.
... wenn sie richtig, gut und vernünftig vorbereitet und durchgefürt wird.
Leider war dies bisher nicht immer so.

Gegen oder zur Bendigung dieses Wanderzirkus hat sich zuletzt auch im EU-Palament Widerstand formiert. Die Logik spricht ihnen zu. Allerdings wird wohl keines der beteiligten Länder, die einen Teilsitz des Parlaments inne haben, nachgeben und einem sinnvollen Kompromis zustimmen, oder auf ihren (vermeintlichen) Vorteil verzichten - zugunsten Europa. (Soviel zu: "Wir wollen die EU!" und "Wir brauchen die EU!" - jedem nationalen Politiker ist die Hose (das eigene Land) wohl näher als das Hemd (die EU))

Daß aber kein Land alleine (gegen einen übermächtigen Gegner) bestehen kann, ... das sieht man doch ganz aktuell im Ukraine-Konflikt. Nun rufen alle involvierten Länder sehr schnell nach der Gemeinschaft (der EU).
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