nulla poena sine lege - in dubio pro reo

Moderator: enegh

nulla poena sine lege - in dubio pro reo

Beitragvon Der Neandertaler » Sonntag 5. August 2012, 22:23

Der Bundestag erließ am Abend des 28. Juni in zweiter und dritter Lesung ein neues Melderegistergesetz. Dieses „Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens“ regelt den Datenschutz im Melderegister, bzw. die Weitergabe der vorhandenen Daten. Der Bürger soll ein Widersruchsrecht bekommen.
Klingt gut … theoretisch
    Im Melderegister werden die Grunddaten der Menschen in Deutschland gesammelt:
    Name, Anschrift, Geschlecht, Geburtsdatum, Personenstand, Wohnort - Erst- und Zweitwohnsitz.
In zweiter und dritter Lesung …?
    Laut Bericht der 187. Sitzung:
    „die Reden wurden zu Protokoll genommen“
    und das Gesetz wurde
    „ohne weitere Aussprache in geänderter Form beschloßen.“
    Änderungen wurden mit CDU/CSU/FDP-Mehrheit vorgenommen.
Zur Erinnerung:
    Es ist der Abend des EM-Habfinals Deutschland-Italien - Viele schauen Fußball.
    Abgeordnete im Bundestag: 622
    Anwesende zur Zeit der Abstimmung: 27!
    Dauer der Abstimmung: kaum der meßbar ... Sekunden.
Allerdings:
Das Verfahren ist parlamentarische Praxis im Land!!!
Nach der lauterwerdenden Kritik daran - weniger an der gängigen Praxis, mehr an diesem Gesetz - sagte Hans-Peter Uhl (CSU):
    Das Gesetz stellt eine
      "deutliche Verbesserung der gegenwärtigen Datenschutzregelung im Meldegesetz dar.
      [...]
      Man muß die Vor- und Nachteile einer Widerspruchslösung mit den Fachleuten diskutieren, bevor man von dicken Fehlern spricht."
    §44
    "Es ist verboten, Daten aus einer Melderegisterauskunft zu Zwecken der Werbung oder des Adresshandels zu verwenden, [...] wenn die betroffene Person gegen die Übermittlung für jeweils diesen Zweck Widerspruch eingelegt hat. Dies gilt nicht, wenn die Daten ausschließlich zur Bestätigung oder Berichtigung bereits vorhandener Daten verwendet werden."
Vor- und Nachteile - Vor- und Nachteile???
Sein Münchener Büro dazu:
    "Wir hätten nicht gedacht, daß das jemanden interessiert."
Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU):
    "Aus meiner Sicht war es ein Fehler, daß der entscheidende Paragraph quasi über Nacht im Schnellverfahren geändert wurde. So wird das Gesetz nicht kommen."
Und nachher will es keiner gewesen sein!

"Manche Menschen würden eher sterben als nachzudenken.
Und sie tun es auch."

Bertrand Russell, engl. Philosoph u. Sozialkritiker, 1872-1970
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Re: nulla poena sine lege - in dubio pro reo

Beitragvon galileo2609 » Sonntag 5. August 2012, 23:27

Hallo Neandertaler,

das ist jetzt aber schon eine alte Motte. Das Teil wird so den Bundesrat nicht passieren. Ein Skandal ist es dennoch. In einem nicht beschlussfähigen Parlament durchgepeitscht. Von den bekannten Falken verteidigt. Von der Regierung die Verantwortung auf die Regierungskoalition verschoben. Die Opposition nicht wirklich wach.

Eine ganz schwarze Stunde für den deutschen Parlamentarismus. Gut, dass dennoch ein paar aufgepasst haben.

Grüsse galileo2609
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Re: nulla poena sine lege - in dubio pro reo

Beitragvon Der Neandertaler » Montag 6. August 2012, 11:29

Hallo galileo2609.
galileo2609 hat geschrieben:Hallo Neandertaler,

das ist jetzt aber schon eine alte Motte. Das Teil wird so den Bundesrat nicht passieren. Ein Skandal ist es dennoch. In einem nicht beschlussfähigen Parlament durchgepeitscht. Von den bekannten Falken verteidigt. Von der Regierung die Verantwortung auf die Regierungskoalition verschoben. Die Opposition nicht wirklich wach.

Eine ganz schwarze Stunde für den deutschen Parlamentarismus. Gut, dass dennoch ein paar aufgepasst haben.

Grüsse galileo2609
Ich gebe Dir vollkommen Recht!
Ich habe auch lange überlegt, ob und wie ich darüber berichte. Daß ich darüber berichte, ist auch eher zu meiner Beruhigung erfolgt - deshalb auch die (manchmal) überbordende(n) Formatierung(en).
Geärgert hat mich auch weniger die gängige Praxis - unterbesetztes Parlament, usw., eher, daß es einige ausgenutzt haben, daß Viele Fußball schauen
- das Gesetz war immer schon umstritten?!?
    Gesetze werden ja vermehrt in Ausschüßen ausgearbeitet und vorbereitet - Parlamente als einzige, weitgehend demokratisch legitimierte, gewählte Organe werden über- und/oder umgangen
    ... ich habe keinen Ausschuß bestimmt oder gewählt.
In einem Interview mit dem Deutschlandfunk vom 11. July wurde eine Aussage von Herrn Seehofer zitiert, die er zu Beginn der Beratungen einer Sitzung des CSU-Vorstands verkündete:
    "Jetzt hoffe ich nicht, daß CSU-Abgeordnete daran beteiligt waren. Das wäre nicht schön."
    - wahrscheinlich wider besseres Wissens -
Im genannten Interview erklärte Hans-Peter Uhl (CSU):
    "Ja selbstverständlich war ich beteiligt, das müßte Herr Seehofer auch wissen. Es war eine sehr monatelange Debatte unter Fachleuten über die Frage, ob im Melderegister eine Widerspruchslösung die bessere Lösung ist, oder eine Einwilligungslösung."
    Gut, es war von Fachleuten die Rede
Frau Piltz (FDP) schrieb auf dem unabhängigen Portal abgeordnetenwatch.de:
    "Allerdings war eine Mehrheit im Bundestag für die datenschutzrechtlich weitestgehende Einwilligungslösung nicht möglich … Da sich zwischenzeitlich jedoch die CSU offensichtlich anderweitig entschieden hat und nun doch eine Einwilligungslösung mittragen möchte, steht die FDP-Fraktion hierfür nach wie vor gerne bereit."
    die FDP wie immer ... nach allen Seiten offen ... wie meine Sandahlen
Am 9. July berichtete der FOCUS, SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte:
    "Die Geschichte ist von vorne bis hinten absurd"
Dies finde ich schon ... ich weiß nicht wie ... einfach heuchlerisch.
Warum niemand einen Antrag zur Feststellung der Beschlußfähigkeit des Bundestages gestellt hat?
... schon merkwürdig.
Aber sich hinterher echauffieren. Beruf verfehlt! Schauspieler wäre angebracht.
Beschlußfähig oder nicht - diese muß festgestellt werden ... aber eben nur auf Antrag.
Wo kein Kläger, da kein Richter.
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