Libyen-Krise

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Re: Libyen-Krise

Beitragvon ralfkannenberg » Donnerstag 27. Oktober 2011, 21:16

Hallo zusammen,

ich will mich ja wirklich nicht einmischen und ich interessiere mich auch nicht für Politik, aber es ist mir immer wieder ein Rätsel, wie man so die Augen vor den Verbrechen Ghadhafis verschliessen kann.

Hier in der Schweiz ist es der Bevölkerung noch "bestens" in Erinnerung, wie er sämtliche Abmachungen ignoriert und unter einem billigen Vorwand 2 Schweizer ABB-Mitarbeiter erst über ein Jahr festgehalten und dann nach einem Schauprozess wegen angeblicher "Visa-Vergehen" noch einige Monate ins Gefängnis geworfen hat.

Und wenn ich mich recht entsinne, so war es Ghadhafi, der auf seine eigenen Leute hat schiessen lassen, keineswegs die Rebellen. Ich will nicht behaupten, dass die Rebellen alle Engel waren, gewiss nicht, und mir ist auch bewusst, dass ein Land wie Libyen mit so vielen Stämmen und Streitigkeiten untereinander nicht einfach regierbar ist. Aber dass das nicht einfach ist rechtfertigt nicht die "Methoden" und die Blutspur, die Ghadhafis Regierungszeit nach sich gezogen hat.

Just my 2 cents.

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Re: Libyen-Krise

Beitragvon Britta » Freitag 28. Oktober 2011, 07:43

Hallo Ralf,

ralfkannenberg hat geschrieben:
ich will mich ja wirklich nicht einmischen und ich interessiere mich auch nicht für Politik, aber es ist mir immer wieder ein Rätsel, wie man so die Augen vor den Verbrechen Ghadhafis verschliessen kann.

Welche Verbrechen Gaddafis sind denn so aussergewöhnlich?

ralfkannenberg hat geschrieben:Hier in der Schweiz ist es der Bevölkerung noch "bestens" in Erinnerung, wie er sämtliche Abmachungen ignoriert und unter einem billigen Vorwand 2 Schweizer ABB-Mitarbeiter erst über ein Jahr festgehalten und dann nach einem Schauprozess wegen angeblicher "Visa-Vergehen" noch einige Monate ins Gefängnis geworfen hat.

Dazu muß man sehen, was hinter den Kulissen ablief.

Nachdem die Sanktionen gegen Libyen gelockert worden waren, haben diejenigen, die sich jetzt am Libyenkrieg beteiligten, massiv damit begonnen, gegen Gaddafi zu intrigieren. Das ist ihm nicht verborgen geblieben.

Es gab immer wieder Mordversuche des Auslandes in der Vergangenheit und die Geheimdienste dieser Länder trafen sich immer wieder mit den Leuten, mit denen sie auch jetzt wieder bei der "Rebellion" zusammen arbeiteten. Gaddafi wußte Bescheid und erschwerte dem Botschaftspersonal dieser Länder das Reisen in Libyen. Ohne Antrag durften sie sich im Land nicht bewegen und Anträge wurden nicht oft genehmigt. Dass dadurch vermehrt auf Geschäftsleute aus "neutralen" Länder zurückgegriffen wurde, um Geheimdiensttätigkeiten auszuführen oder dass diese zumindest in Verdacht geraten, wäre logisch. Es soll ja tatsächlich mit den Visa was nicht gestimmt haben.

Auch der Vorfall in der Schweiz: http://de.wikipedia.org/wiki/Libyen-Aff ... Schweiz%29
enthält einige Merkwürdigkeiten. Die Presse stellte bei solchen Gelegenheiten immer Gadaffi in ein schlechtes Licht, und das oft zu Unrecht.

«Ich wurde erniedrigt. Ich war nie gewalttätig. Meine Hausangestellten wollen einfach Asyl in der Schweiz. Meine Bodyguards hätten mich wecken sollen. Hätten Sie direkt mit mir Kontakt aufgenommen, wäre ich ohne Probleme mitgekommen.»

– Aussagen Gaddafis während des Verhörs zu den Aussagen der Hausangestellten.


Die beiden Hausangestellten zogen Anfang September 2008 ihre Anzeigen gegen das Ehepaar Gaddafi zurück, nachdem in Libyen zwei Schweizer Geschäftsleute in Arrest genommen worden waren. Die Hausangestellten erhielten zuvor von unbekannter Seite eine «angemessene Entschädigung» und aus humanitären Gründen eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis in der Schweiz.[5] Der Genfer Generalstaatsanwalt Daniel Zappelli stellte darauf das Strafverfahren ein. Eine leichte Körperverletzung und eine Drohung, sagte Zappelli, seien schliesslich «keine Offizialdelikte»

Könnte genauso fabriziert gewesen sein, wie die Vorwürfe der Dame die zu Beginn des Libyenkrieges in einem Hotel rumschrie, sie sei von Gaddafis Soldaten vergewaltigt worden.

Es gibt da noch mehr Merkwürdigkeiten.

ralfkannenberg hat geschrieben:Und wenn ich mich recht entsinne, so war es Ghadhafi, der auf seine eigenen Leute hat schiessen lassen, keineswegs die Rebellen.

Wo hat er auf seine eigenen Leute schiessen lassen?

ralfkannenberg hat geschrieben:Ich will nicht behaupten, dass die Rebellen alle Engel waren, gewiss nicht, und mir ist auch bewusst, dass ein Land wie Libyen mit so vielen Stämmen und Streitigkeiten untereinander nicht einfach regierbar ist. Aber dass das nicht einfach ist rechtfertigt nicht die "Methoden" und die Blutspur, die Ghadhafis Regierungszeit nach sich gezogen hat.

Diese Blutspur zweifele ich an.
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Re: Libyen-Krise

Beitragvon ralfkannenberg » Freitag 28. Oktober 2011, 13:26

Britta hat geschrieben:(...)
Dazu muß man sehen, was hinter den Kulissen ablief.
(...)
massiv damit begonnen, gegen Gaddafi zu intrigieren. Das ist ihm nicht verborgen geblieben.
(...)
und die Geheimdienste dieser Länder
(...)
um Geheimdiensttätigkeiten auszuführen oder dass diese zumindest in Verdacht geraten, wäre logisch.
(...)
enthält einige Merkwürdigkeiten
(...)

Hallo Britta,

wie gesagt, ich bin weder Spezialist, noch habe ich etwas dazu gelesen noch interessiere ich mich sonderlich für politische Fragestellungen. Die Spezialisten hier sind Du und die anderenTeilnehmer der Diskussion.

Was mir ein Anliegen ist, ist, dass die Spezialisten, die sich mit diesen Thematik(en) näher beschäftigt haben, bei ihren Schlussfolgerungen nicht nur nach "Merkwürdigkeiten" und "Geheimdienstaktivitäten" suchen, sondern primär nach ganz konkreten Fakten, und sich dann die Frage stellen, ob man diese auch ohne Merkwürdigkeiten und Geheimdienstaktivitäten erklären könnte. Und wenn ja - das heisst ja noch lange nicht, dass solche konservativen Erklärungsversuche am Ende auch zutreffend sind - sich zumindest näher überlegen, ob es vielleicht doch diese konservativen Erklärungsversuche sind, die zutreffend waren.

Und erst wenn dieses "Säurebad" überstanden ist, erst dann mögliche Verstrickungen des Geheimdienstes näher in Erwägung ziehen. Das hat auch den grossen Vorteil, dass dann die Fakten- bzw. Quellenlage bei weitem besser belastbar ist.

Freundliche Grüsse, Ralf
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Re: Libyen-Krise

Beitragvon Der_Dscho » Freitag 28. Oktober 2011, 15:08

Hi,

Britta hat geschrieben:Welche Verbrechen Gaddafis sind denn so aussergewöhnlich?


Ihm wird der Anschlag in Lockerbie angelastet:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0 ... 16,00.html
auch noch interessant:
http://www.sueddeutsche.de/politik/blut ... -1.1065425
http://www.stern.de/politik/ausland/ver ... 97953.html


@ralf
Es ist immer wieder erstaunlich, dass solche Despoten hinterher gerne als Unschuldslämmer hingestellt werden.

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Re: Libyen-Krise

Beitragvon Britta » Freitag 28. Oktober 2011, 15:56

Der_Dscho hat geschrieben:Hi,

Britta hat geschrieben:Welche Verbrechen Gaddafis sind denn so aussergewöhnlich?


Ihm wird der Anschlag in Lockerbie angelastet:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0 ... 16,00.html
auch noch interessant:
http://www.sueddeutsche.de/politik/blut ... -1.1065425
http://www.stern.de/politik/ausland/ver ... 97953.html


@ralf
Es ist immer wieder erstaunlich, dass solche Despoten hinterher gerne als Unschuldslämmer hingestellt werden.

Dscho


Für Lockerbie war er genauso wenig verantwortlich wie für LaBelle - auch wenn er dafür gezahlt hat, um die Sanktionen zu lockern und ihm das als Schuldeingeständis ausgelegt wurde.

Aud die Demokratiebewegung hat er auch nicht schiessen lassen. Wo sind die Beweise? Bisher gab es nur Behauptungen, die als Vorwand missbraucht wurden. Was uns nicht präsentiert wurde waren die Opfer - also nicht die Toten, sondern diejenigen, die bei diesen Demonstrationen verwundet wurden und vor laufender Kamera ihre Schußverletzungen zeigten.

Uns wurden keine Beweise dafür präsentiert, sondern nur Behauptungen. Und vieles was in den letzten Monaten von den Medien behauptet wurde, stellte sich schon 1-2 Tage später als Lüge heraus.

Nein, ich behaupte, Gaddafi hat nicht auf friedliche Demonstranten schiessen lassen.
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Re: Libyen-Krise

Beitragvon Uli » Freitag 28. Oktober 2011, 16:26

ralfkannenberg hat geschrieben:Hallo zusammen,

ich will mich ja wirklich nicht einmischen und ich interessiere mich auch nicht für Politik, aber es ist mir immer wieder ein Rätsel, wie man so die Augen vor den Verbrechen Ghadhafis verschliessen kann.

Hier in der Schweiz ist es der Bevölkerung noch "bestens" in Erinnerung, wie er sämtliche Abmachungen ignoriert und unter einem billigen Vorwand 2 Schweizer ABB-Mitarbeiter erst über ein Jahr festgehalten und dann nach einem Schauprozess wegen angeblicher "Visa-Vergehen" noch einige Monate ins Gefängnis geworfen hat.

Und wenn ich mich recht entsinne, so war es Ghadhafi, der auf seine eigenen Leute hat schiessen lassen, keineswegs die Rebellen. Ich will nicht behaupten, dass die Rebellen alle Engel waren, gewiss nicht, und mir ist auch bewusst, dass ein Land wie Libyen mit so vielen Stämmen und Streitigkeiten untereinander nicht einfach regierbar ist. Aber dass das nicht einfach ist rechtfertigt nicht die "Methoden" und die Blutspur, die Ghadhafis Regierungszeit nach sich gezogen hat.

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Freundliche Grüsse, Ralf


Hallo Ralf,

wir haben diese Geschichte hier ja einigermaßen detailliert diskutiert. Im Laufe der Zeit bin ich immer kritischer der NATO-Einmischung gegenüber geworden, da ich mich nicht gegen den Eindruck wehren konnte, dass
(a) Gaddafi von den Medien gezielt dämonisiert und vorverurteilt wurde. Vorwürfe der NTC-Rebellen ("Massengrab gefunden" etc.) wurden immer auf der Stelle unkritisch übernommen. Bisweilen stellte sich dann im nachhinein heraus, dass die präsentierten Knochen animalischer Herkunft waren. Für mich steht fest, dass Gaddafi einer differenzierten Analyse bedarf; viele Annehmlichkeiten, die er dem libsychen Volk gebracht hat, stehen außer Zweifel (soziale Sicherheit, Wohlstand, Gleichberechtigung der Frauen etc.). Er war ja bis vor kurzem auch noch der "Buddy" unserer Politiker gewesen, Originaltext Sarkozy: Gaddafi sein nicht als Diktator anzusehen o.ä..
(b) er hat zweifellos einigen Rückhalt im libyschen Volk gehabt; Britta meint, er habe das gesamte libysche Volk hinter sich gehabt. Das scheint mit aber reichlich übertrieben. Nach Meinung eines Libyen-Experten standen v.a. die älteren Bevölkerungsteile und Teile seiner ethnischen Gruppe hinter ihm.
(c) die NATO-Aktion diente NICHT dem Schutz der Zivilbevölkerung; ansonsten hätten sich die Angriffe der Nato gegen die Rebellen richten müssen, als diese begannen, Syrte und andere Städte in Schutt und Asche zu legen bzw. zu entvölkern, die schwarze Bevölkerung zu drangsalieren und hunderte Kriegsgefangene hinzurichten. Entsprechende AI-Reports sind leicht zu finden.
(d) den Rest gab mir dann freilich der Mord des NTC-Lnych-Mobs an Gaddafi. Egal wieviel an den Vorwürfen gegen ihn dran sein sollte, einfach widerlich, was die mit einem 70-jährigen hilflosen alten Mann gemacht haben bevor sie ihn abgemurkst haben. Schau mal genauer drauf:
http://www.globalpost.com/dispatch/news ... afi-sodomy

Man kann wie viele nun sagen "halb so schlimm, Hauptsache er ist weg". Hat das noch was mit Menschenrechten zu tun? Sind Vorwürfe gegen einen Verdächtigen nicht noch vor seiner Hinrichtung zu erbringen? Wohl nicht bei allen Menschen, manche sind eben ganz offensichtlich böse.
Die NTC-Offiziellen meinten dazu, sie hätten ihn lieber lebend gehabt, aber die Jugend war halt etwas enthusiastisch. Zum Teufel mit ihnen: es gibt immer nur Ausreden, keine Selbstkritik oder ernstgemeinte Versuche irgendetwas aufzuklären.

Ja, ich rege mich schon darüber auf, dass "wir" als Nato-Mitglieder diesem Abschaum an die Macht verholfen haben. Aber es ist zu befürchten, dass das Elend noch lange nicht vorbei ist; die massiven Verbrechen der NTC-Rebellen an Gaddafi-Anhängern werden zu Vergeltungsaktionen führen.
http://www.reuters.com/article/2011/10/ ... F820111027

Weiter regt mich auf, dass man neuerdings keinen Moment mehr innehalten darf, wenn es darum geht, einer Militäraktion zuzustimmen. Widerlich, wie alle Seiten über Westerwelle wegen der deutschen Enthaltung zum UNO-Persilschein für die NATO hergezogen sind. Einmalige Chance verpasst, dass auch die Deutschen mal an einem gewonnenen Krieg teilnehmen und wie stehen unsere Konzerne nun bitteschön da, wenn die NTC-Klicke die Aufträge neu verteilt!

Ich meine übrigens auch gelesen zu haben, dass die ursprünglichen Vorwürfe gegen Gaddafi (Massaker an Zivilisten bei Ausbruch der Proteste) nicht aufrecht zu erhalten sind (meine, es war ein Amnesty International Report). Es wurde auf bewaffnete Gruppen geschossen, was durchaus angebracht gewesen sein könnte.

Ich hatte gehofft, dass beim Prozess gegen Gaddafi einige der unbequemen Wahheiten ans Licht kommen, aber das hat sich ja mittels Lynchmord vermeiden lassen.

Nee, Ralf, wird Zeit, dass ich mich wieder mehr auf die Bundesliga konzentriere statt auf dieses schmutzige Geschäft. Verdirbt mir nur die gute Laune. :(

Gruß,
Uli

Aber anscheinend kommt es ja doch noch zu einer Verhandlung:
http://derstandard.at/1319181511759/Int ... al-Gaddafi
"Das Büro der Ankläger hat deutlich gemacht, dass er, wenn er sich stellt, das Recht auf eine Anhörung vor Gericht hat, und als unschuldig gilt, bis seine Schuld bewiesen wird",

Er würde sogar als unschuldig gelten bis seine Schuld bewiesen ist; wie großzügig.
Mal schauen, ob er Den Haag lebend erreicht.

Ich hatte auch schon einmal versucht, im Forum eines angesehenen deutschen Magazins eine sehr moderate kritische Anmerkung zu posten; die wurde gleich wegzensiert.
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Re: Libyen-Krise

Beitragvon Der_Dscho » Freitag 28. Oktober 2011, 17:10

Hi,

Uli hat geschrieben:Für mich steht fest, dass Gaddafi einer differenzierten Analyse bedarf; viele Annehmlichkeiten, die er dem libsychen Volk gebracht hat, stehen außer Zweifel (soziale Sicherheit, Wohlstand, Gleichberechtigung der Frauen etc.).


Sind das denn auch Annehmlichkeiten im Sinne des Libyschen Volkes? Oder greift da vielleicht unser "militantes Wunschdenken"?

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Re: Libyen-Krise

Beitragvon ralfkannenberg » Freitag 28. Oktober 2011, 18:10

Uli hat geschrieben:Im Laufe der Zeit bin ich immer kritischer der NATO-Einmischung gegenüber geworden, da ich mich nicht gegen den Eindruck wehren konnte, dass
(a) Gaddafi von den Medien gezielt dämonisiert und vorverurteilt wurde.

Hallo Uli,

zumindest einige von Ghadhafi-"Taten" sind aktenkundig. Wieviele der zugehörigen Quellen hast Du Dir angeschaut ? Oder anders gefragt: Würdest Du mit den Dir bekannten Quellen analog ein physikalisches Resultat akzeptieren ?

Uli hat geschrieben:Vorwürfe der NTC-Rebellen ("Massengrab gefunden" etc.) wurden immer auf der Stelle unkritisch übernommen. Bisweilen stellte sich dann im nachhinein heraus, dass die präsentierten Knochen animalischer Herkunft waren.

Das ist aber in jeder militärischen Auseinandersetzung so.

Uli hat geschrieben:Für mich steht fest, dass Gaddafi einer differenzierten Analyse bedarf; viele Annehmlichkeiten, die er dem libsychen Volk gebracht hat, stehen außer Zweifel (soziale Sicherheit, Wohlstand, Gleichberechtigung der Frauen etc.).

Hast Du hier auch gute und belastbare Quellen ? Ein gutes Kriterium ist es, wenn Du analog guten Quellen in der Physik Glauben schenken würdest.

Im Übrigen braucht jeder Despot einer "differenzierten Analyse". Ich meine das übrigens ganz neutral - allein die Rechtstaatlichkeit erfordert das. Und das ist auch gut so.

Uli hat geschrieben:Er war ja bis vor kurzem auch noch der "Buddy" unserer Politiker gewesen, Originaltext Sarkozy: Gaddafi sein nicht als Diktator anzusehen o.ä..

Was soll er denn sonst sagen ? Allein aufgrund seines diplomatischen Status kann sich Sarkozy gar nicht anders äussern. Und wenn er ihn für einen Tyrannen hält, wird er auch nur seiner "tiefen Sorge" Ausdruck verleihen können, schliesslich ist Libyen ein souveränes Land.

Uli hat geschrieben:(b) er hat zweifellos einigen Rückhalt im libyschen Volk gehabt; Britta meint, er habe das gesamte libysche Volk hinter sich gehabt. Das scheint mit aber reichlich übertrieben. Nach Meinung eines Libyen-Experten standen v.a. die älteren Bevölkerungsteile und Teile seiner ethnischen Gruppe hinter ihm.

Ich hatte das vor dem Konflikt auch nicht gewusst, dass Libyen aus so vielen Stämmen besteht und alles andere als einig war. Allein deswegen dürfte er grossen Rückhalt bei seinem eigenen Stamm gehabt haben.

Uli hat geschrieben:(c) die NATO-Aktion diente NICHT dem Schutz der Zivilbevölkerung; ansonsten hätten sich die Angriffe der Nato gegen die Rebellen richten müssen, als diese begannen, Syrte und andere Städte in Schutt und Asche zu legen bzw. zu entvölkern, die schwarze Bevölkerung zu drangsalieren und hunderte Kriegsgefangene hinzurichten. Entsprechende AI-Reports sind leicht zu finden.

Ist einerseits mit Vorsicht zu geniessen, ausserdem ist es, wie man im Jugoslawien-Krieg gesehen hat (Stichworte Srebenica, Cepa) gar nicht so einfach, die Zivilbevölkerung zu schützen. Hinterher wird dann gross verkündet, die UN-Soldaten - damals waren es Holländer, hätten weggeschaut. Auch sowas wird wohl historisch etwas besser aufgearbeitet werden müssen, damit es sich von einer "BILD"-Schlagzeile abheben kann, und von einer historischen Aufarbeitung der Geschehnisse in Libyen sind wir nun wirklich noch weit entfernt.

Uli hat geschrieben:(d) den Rest gab mir dann freilich der Mord des NTC-Lnych-Mobs an Gaddafi. Egal wieviel an den Vorwürfen gegen ihn dran sein sollte, einfach widerlich, was die mit einem 70-jährigen hilflosen alten Mann gemacht haben bevor sie ihn abgemurkst haben. Schau mal genauer drauf:
http://www.globalpost.com/dispatch/news ... afi-sodomy

Hilflos ??? Bitte, das glaubst Du doch selber nicht. Oder anders gefragt: Was muss denn noch geschehen, bis Du so einem Herscher etwas kritischer gegenüberstehst ? Zumindest zeigt die Ermordung - von seinem Sohn, der gleich mitermordet wurde, redet übrigens niemand - dass es mit der Beliebtheit Ghadhafis doch nicht so weit her war, gleiches gilt auch für die spontanen Freude-Kundgebungen in ganz Libyen, als die Nachricht seines Todes bekannt wurde.

Gewiss, er hatte kein ordentliches Gerichtsverfahren, sondern wurde einfach umgebracht, aber den Hass dazu, dass sowas passiert ist und dass da nun nichts nachkommen wird, den hat er gesäht.

Man wird auch sehen müssen, wieviel Angst die Libyer hatten, dass Ghadhafi wieder zurückkehrt, und die dann nachfolgende Schreckensherrschaft brauche ich wohl nicht näher auszumalen.

Einmal mehr: Das darf und kann keine Ermordung rechtfertigen, doch wirklich verwundern sollte es auch nicht und wären Ghadhafi und sein Sohn wirklich diese wohltätigen Engelchen gewesen, als die sie manchmal dargestellt werden, dann wäre die Ermordung der beiden vermutlich so nicht passiert.

Auch hier gilt: Die Quellenlage ist hier in Mitteleuropa ungenügend, diese Fragestellung abschliessend beurteilen zu können; alles was wir wissen, ist, dass es offenbar sehr viel Hass gab, dass aufgrund dessen zwei Menschen ermordert wurden und das ganze nun nicht weiter untersucht wird, weil niemand der Betroffenen wirklich daran Interesse hat.

Dass dabei vermutlich pikante Details - was übrigens wundert, da diese ja bestens in Fernsehaufnahmen dokumentiert sind - nicht mehr ans Licht kommen, an denen zahlreiche Regierungschefs nicht interessiert sind, ist nur ein "angenehmer" Nebeneffekt, welcher die Rufe nach einer lückenlosen Aufklärung nicht allzu laut werden lassen düfte.

Uli hat geschrieben:Man kann wie viele nun sagen "halb so schlimm, Hauptsache er ist weg". Hat das noch was mit Menschenrechten zu tun? Sind Vorwürfe gegen einen Verdächtigen nicht noch vor seiner Hinrichtung zu erbringen? Wohl nicht bei allen Menschen, manche sind eben ganz offensichtlich böse.

Das ist schon richtig, wir müssen uns aber auch dessen bewusst sein, dass Libyen eben kein Rechtsstaat war. Und auch noch keiner ist: Das ist dort noch ein langer und steiniger Weg, und wenn es wirklich schlecht läuft, dann kommt es zu ienem Machtkampf unter den Stämmen, in den auch das benachbarte Ausland hineingezogen wird.

So gesehen wäre eine Fortführung des Regimes Ghadhafis stabiler gewesen, und was die Selbstbestimmung des libyschen Volkes anbelangt, so ist dies ja sowieso nicht unser Bier hier in Deutschland oder in der Schweiz. Und ja - das ist es tatsächlich nicht.

Uli hat geschrieben:Die NTC-Offiziellen meinten dazu, sie hätten ihn lieber lebend gehabt, aber die Jugend war halt etwas enthusiastisch. Zum Teufel mit ihnen: es gibt immer nur Ausreden, keine Selbstkritik oder ernstgemeinte Versuche irgendetwas aufzuklären.

Ja natürlich; Gründe dazu siehe oben. Oder anders gesagt: Wer Hass säht, der wird vermutlich keine Liebe ernten.

Uli hat geschrieben:Ja, ich rege mich schon darüber auf, dass "wir" als Nato-Mitglieder diesem Abschaum an die Macht verholfen haben.

Hier kenne ich die Details viel zuwenig.

Uli hat geschrieben:Aber es ist zu befürchten, dass das Elend noch lange nicht vorbei ist; die massiven Verbrechen der NTC-Rebellen an Gaddafi-Anhängern werden zu Vergeltungsaktionen führen.

Das hat man damals bei der Hinrichtung Sadam Husseins (war ja wirklich nur ein besserer Schauprozess, der bei "lebenslänglich" wohl die bessere Akzeptanz erhalten hätte) auch vermutet, aber es kam nichts nach. Vermutlich kommt hier auch nichts nach. Auch ein Indiz übrigens, wie es um die Beliebtheit Ghadhafis aussah.


Uli hat geschrieben:Weiter regt mich auf, dass man neuerdings keinen Moment mehr innehalten darf, wenn es darum geht, einer Militäraktion zuzustimmen. Widerlich, wie alle Seiten über Westerwelle wegen der deutschen Enthaltung zum UNO-Persilschein für die NATO hergezogen sind.

Schwer zu sagen; wegschauen und Demonstranten abschiessen lassen, die sowieso keine Deutschen sind, ist halt einfach. Hätten alle so gedacht, wäre Ghadhafi vermutlich noch am Leben. Ich will aber nicht wissen, wie es dann jetzt in Libyen aussehen würde. Zum Glück ist es dort eher trocken, so dass die Leichenberge nicht bis nach Deutschland riechen würden. Aber wer weiss - vielleicht hätte Ghadhafi statt dessen ja Reformpläne in die Wege geleitet und das Land demokratisiert und sich dann in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet.

Und ja wirklich: Das wäre wirklich schön gewesen !

Uli hat geschrieben:Einmalige Chance verpasst, dass auch die Deutschen mal an einem gewonnenen Krieg teilnehmen und wie stehen unsere Konzerne nun bitteschön da, wenn die NTC-Klicke die Aufträge neu verteilt!

Unfug, dieses Denken in Kategorien des "Sieges" ist in Deutschland zum Glück nicht vorhanden.

Uli hat geschrieben:Ich meine übrigens auch gelesen zu haben, dass die ursprünglichen Vorwürfe gegen Gaddafi (Massaker an Zivilisten bei Ausbruch der Proteste) nicht aufrecht zu erhalten sind (meine, es war ein Amnesty International Report). Es wurde auf bewaffnete Gruppen geschossen, was durchaus angebracht gewesen sein könnte.

Ich meine mal gelesen zu haben, dass Kometen Elektrodenstrahl-Phänomene sind. Und ich meine mich sogar zu erinnern, dass das im "Sterne und Weltraum" stand. Ja und: Was gibst Du auf solche Erinnerungen ?

Und ja, sie stimmen: Der Autor (eine Art Vorgänger von GOM) hatte Geld und kaufte gleich eine ganze Seite vom SuW als Werbung; in kleinster Schrift stand dann wirklich über dem Artikel kaum zu lesen das Wort "Werbung"; ansonsten im gleichen Schrifttyp wie die übrigen Artikel des SuW seine Privattheorie. Unter anderem ich habe damals dafür gesorgt, das dieser Spuk aufhört, und Du kannst Dir gar nicht vorstellen, was mir damals deswegen für Freundlichkeiten zuteil wurden.

Worauf ich aber hinaus will: Meine Erinnerung ist sogar richtig, dennoch ist der Inhalt dieser Erinnerung, dass Kometen Kathodenstrahlphänomene seien, falsch. Auch dann, wenn es im SuW stand. Das sind eben die Details, die man nur herausfindet, wenn man sich das ganze dann doch etwas näher anschaut.

Noch ein Wort zu dieser Art Fehlinterpretation: Vor einigen Jahren war ich in der Stadtbibliothek der Essener Volkshochschule; das ist immerhin die einwohnermässig fünftgrösste Stadt Deutschlands. Meine Mutter wollte dort etwas lesen und mir war es langweilig, und so habe ich bei der Astronomie etwas über Kometen gesucht. Ich habe dort nur ein Buch über dieses Thema gefunden und es war von genau diesem Autor. Inzwischen hat diese Bibliothek indes eine wirklich grossartige und kompetente Auswahl, auch ohne dass ich mich da irgendwie eingebracht hätte.


Uli hat geschrieben:Ich hatte gehofft, dass beim Prozess gegen Gaddafi einige der unbequemen Wahheiten ans Licht kommen, aber das hat sich ja mittels Lynchmord vermeiden lassen.

Nein, da hat sich nichts "vermeiden lassen": Wir Menschen haben einen freien Willen und einige haben diesen freien Willen missbraucht und eine Straftat begangen.

Eine Straftat wohlbemerkt, der vor einem korrekten Gericht vermutlich sehr viel mildernde Umstände zugestanden würde.

Uli hat geschrieben:Nee, Ralf, wird Zeit, dass ich mich wieder mehr auf die Bundesliga konzentriere statt auf dieses schmutzige Geschäft. Verdirbt mir nur die gute Laune. :(

Das ist nicht meine Botschaft, meine Botschaft ist nur die, dass Du (ich ertappe mich übrigens auch immer wieder dabei) an historisch/politische Angelegenheiten eine viel grössere Grosszügigkeit an die Quellen anlegst als bei Deinem Fachgebiet.

Dabei sollte es doch umgekehrt sein, denn bei Deinem Fachgebiet kennst Du Dich aus und kannst Unsinn von guten Sachen in zahlreichen Fällen unterscheiden. Deswegen ist es wichtig, in einem Nicht-Fachgebiet an die verwendeten Quellen einen viel strengeren Massstab anzulegen !


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Re: Libyen-Krise

Beitragvon Uli » Freitag 28. Oktober 2011, 18:38

ralfkannenberg hat geschrieben:
...
Gewiss, er hatte kein ordentliches Gerichtsverfahren, sondern wurde einfach umgebracht, aber den Hass dazu, dass sowas passiert ist und dass da nun nichts nachkommen wird, den hat er gesäht.

Man wird auch sehen müssen, wieviel Angst die Libyer hatten, dass Ghadhafi wieder zurückkehrt, und die dann nachfolgende Schreckensherrschaft brauche ich wohl nicht näher auszumalen.

Einmal mehr: Das darf und kann keine Ermordung rechtfertigen, doch wirklich verwundern sollte es auch nicht und wären Ghadhafi und sein Sohn wirklich diese wohltätigen Engelchen gewesen, als die sie manchmal dargestellt werden, dann wäre die Ermordung der beiden vermutlich so nicht passiert.



Ralf, ich kann dieser Logik nicht ganz folgen: die Ermordung Gaddafis durch diese Sadisten soll beweisen, dass das libysche Volk gegen ihn war?
Du meinst, der, der ihn da mit einem Stock oder einem Messer kurz vor seiner Ermordung in den A... f..., steht für den Zorn des libyschen Volkes?
Das sieht mir mehr nach dem Gewaltrausch eines Mobs unter Drogen aus. Dieselben sind vielleicht auch für die Exekutionen der Gefangenen in Sirte und für das Abfackeln von Häusern dort verantwortlich.

Natürlich weiss ich nicht mehr als du und habe so meine Schwierigkeiten, Seriösität von Quellen einzuschätzen.

Diese Einschätzung z.B. hat aus meiner Sicht einiges für sich, finde ich:
Das zynische Gerede von den Menschenrechten

Ich finde es auch bezeichnend, dass die NTC eine Verlängerung des NATO-Einsatzes fordert. Die sehen noch den Zorn vieler Libyer auf sich zukommen.

Gruß,
Uli
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Re: Libyen-Krise

Beitragvon Uli » Samstag 29. Oktober 2011, 13:36

Was ist von den Vorwürfen gegen das Gaddafi-Regime zu halten, die zum Eingreifen der Nato führten?

Völkermord und Massenvergewaltigungen bei Ausbruch der Revolte war Gaddafi vorgeworfen worden. Vor längerer Zeit schon hatte ich einen Report von Amnesty International gepostet (die ich für recht seriös halte), in welchem diesen Vorwürfen vor Ort nachgegangen war. Die von den Rebellen gemeldeten Vergewaltigungsopfer waren unauffindbar oder nicht bereit zu Interviews mit Amnesty International. Auch der Vorwurf des Völkermords konnte nicht bestätigt werden.

In dieselbe Richtungen geht dieser Artikel
Wir haben keine Beweise gefunden

Das setzt in meinen Augen doch einige Fragezeichen hinter diese Vorwürfe.

Aber wie sieht es in dem "neuen Libyen" aus?

Amnesty erhebt schwere Vorwürfe gegen Libyens neue Regierung

New Libya ’stained’ by detainee abuse

Auch die New York Times ist keine typische Seite von Verschwörungstheoretikern
In Libya, Massacre Site Is Cleaned Up, Not Investigated

Ich halte diese Papiere für seriöser als die permanenten Dämonisierungsversuche Gaddafis durch viele unserer Massenmedien, die jedwede NTC-Propaganda unkritisch übernehmen, da die NTC ja auf "unserer Seite" ist.
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