Die Leiter des Leides und warum es Leid geben muss

Psychologie und das Seelenleben, der Sinn des Lebens und Lebensträume, Hoffnungen und Ängste, Liebe, Zorn und Gefühle, Ego, Selbstbewusstsein, Sinnlichkeit und der Tod

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Re: Die Leiter des Leides und warum es Leid geben muss

Beitragvon Britta » Samstag 7. August 2010, 15:13

nocheinPoet hat geschrieben:Ist kein Leid nicht Glück?

Es gibt Menschen, die brauchen Leid wie eine Droge. Wenn sie nicht leiden können, Anderen mitteilen wie schlecht es ihnen geht oder wie schlecht sie doch von ihren Mitmenschen behandelt werden, sind sie nicht glücklich.

Es gibt so viele Arten von Glück und Leid und diese beiden Gefühle stehen nie alleine. Mit ihnen kommen Angst, Freude, Trauer, Spaß und viel andere Gefühle mit auf. Es gibt nicht nur Leid alleine oder Glück alleine. Die beiden werden immer begleitet.

nocheinPoet hat geschrieben:Ich meine das wir es mit einer Blickrichtung zu tun haben, Norden/Süden oder noch klarer gesagt, es ist eine Relation. Was ich aus einer sehr „leidvollen“ Position als Glück bewerte kann aus einer viel glücklicheren Position leidvoll sein. Beispiel jemand ist ganz arm hat nicht ein Auto und bekommt nun einen kleinen Job und kann sich ein alten Gebrauchtwagen leisten. Das macht ihn glücklich und er sagt, was habe ich doch für ein Glück. Jemand der reich ist, verliert bei einem Brand seinen Ferrari aber er hat ja zum „Glück“ noch einen Porsche? Würde der nun glücklich sein, oder sagen, ich Leide weil mein Ferrari verloren ist? Gut man muss es nicht am Geld festmachen, aber wie dem auch sei, ich meine das Glück/Leid keine eigenständigen Entitäten sind.

Sie gehören zusammen: Rock'n Roll...

Beides ist auch eine Sache der Gewohnheit. Jemand der immer nur glücklich ist, hat irgendwann vergessen dass er glücklich ist und jemand der immer nur leidet, weiß auch nicht mehr dass er leidet. Ihm fehlt der Vergleich. Für ihn ist es der Normalzustand.

Würden die Menschen unter der Erde im Dunkeln leben und hätten niemals die Sonne gesehen und nie von ihr gehört, wüßten sie nicht was Sonnenlicht ist.
nocheinPoet hat geschrieben:Die Frage ob man Leid erfahren kann, ohne Glück zu kennen, ist interessant, wobei ich meinen würde, selbst wenn man mit Schmerzen schon geboren wird, das man schon eine Vorstellung davon haben kann, wie es ohne ist. Man kann ein Gefühl nur „weg“ wünschen, wenn man es erkennen kann, ich glaube das jeder der Zahnschmerzen hat, die auch erkennen kann, wenn er immer schon welche hätte, und darunter „leiden“ würde.

Bei Schmerzen gewöhnt sich der Körper ebenfalls daran. Sonst könnten wir es nicht ertragen.
nocheinPoet hat geschrieben:Ist es nicht das Bild das wir in uns tragen, über eine Veränderung die das was ist für uns subjektiv als Glück oder Leid wahrnehmen lässt?

Nein, es ist kein Bild. Es ist ein Gefühl. Worüber wir an einem Tag tieftraurig sind, denken wir an einem anderen gar nicht mehr nach und sind mit unseren Gedanken woanders. Wir haben die Fähigkeit, uns von unserem Leid selbst abzulenken und auch unser Glück zu vergessen. Wir denken nicht ständig daran, weil unser Geist ständig nach etwas Neuem sucht, über das wir noch nicht nachgedacht haben, was uns Freude macht oder was auch immer gerade aktuell passiert und bewertet wird.

nocheinPoet hat geschrieben:
GambitPi hat geschrieben:Die Fragen, die ich aus NeP´s Eingangspost herauslese sind:
[list=1]
1. Hier sagen nun oft viele, wenn es einen Gott gäbe, warum lässt er so etwas zu?

Du hast es gut erkannt, Grundlage meiner Überlegung war sogar noch härter, es geht um die Aussage, es kann kein Gott geben, weil der nie soviel Leid zulassen würde, oder wenn es ihn gibt, dann ist er nicht „gut“ sondern „böse“ weil er seine Geschöpfe so leiden lässt. Brachte mich mit 10 in eine kleine „Glaubenskrise“. Den Aspekt und den Bezug zu Gott habe ich aber auch noch mal gesondert betrachtet: Warum Gott auch böse ist Und er lässt uns nichts erleben, wenn wir im Grunde nur er sind.

Für mich hat weder Glück noch Leid etwas mit Gott zu tun.
nocheinPoet hat geschrieben:
GambitPi hat geschrieben:Die Sufis sagen: Wir sind das Auge durch das Gott sich selber sieht. ;)

Ich glaube das auch, wir sind ein Traum Gottes, es gibt nichts außerhalb von Gott, ihm war langweilig, er zerlegte sich in ganz viele Teile und spielt das Spiel, mal sehen wann die alle wieder zusammen gefunden haben und erkennen das sie nur ich sind.

So in diese Richtung denke ich auch. Nur ist es für 'Gott' meiner Meinung nach kein Spiel, sondern er entdeckt sich dabei selbst.

GambitPi hat geschrieben:Gott (mit dem wir hier ident zu denken sind ;) ) will am Ende vielleicht einfach, wie einst Dante nach seiner Höllenwanderung die heilige Lösung aussprechen können: „Ich habe alles gesehen.“ Und Leid ist nicht nur zermürbend. Es ist auch ein großer Ansporn zu allem Möglichen. Vor allem zum Leben an sich!

Nicht nur Leid, auch Glück ist ein großer Ansporn. Beides bringt uns auf neue Ideen, wir ändern etwas, fangen etwas Neues an und das führt zu einer ständige Weiterentwicklung. Klar gibt es auch mal Rückschritte.

Wenn Gott sich denn am Ende alles betrachtet, dann kann er bei der nächsten Welt Fehler vermeiden, sodass er es beim nächsten Mal besser macht.
nocheinPoet hat geschrieben:Ich glaube es gibt keine oberste Stufe die man erreichen kann.

Das wäre auch langweilig. Es kann nur auf und ab geben. Wie warm und kalt, hell und dunkel.
nocheinPoet hat geschrieben:Man könnte sagen, es ist leidvoll zu wissen, das ein mehr an Glück nicht möglich ist. Jedes Handeln macht keinen Sinn mehr. Und gibt es da dann überhaupt noch einen Gedanken den man denken will? Gibt es dann einen da überhaupt noch?

Der Weg ist wohl auch hier das Ziel.
nocheinPoet hat geschrieben:Ich bin mal zu der „Erkenntnis“ gekommen, das unsere Unzufriedenheit, unser „Haben wollen“ unser Drang die Dinge zu verändern uns wirklich erst ausmacht. Es gibt immer etwas, das wir tun können oder wollen, da ist etwas, und wir wollen es anders.

Wir brauchen immer ein Ziel, auf das wir hinarbeiten. Dazu brauchen wir dann wieder Motivation und die kann eben sein, dass uns das Erreichen des Zieles ein wenig nur glücklich macht.
nocheinPoet hat geschrieben:Es kann einen Punkt geben, da sind wir aber mit allem einverstanden, wir erkennen, das alles eben genau so ist, wie wir es wollen, es gibt keine Spannung zwischen dem was wir Wahrnehmen und dem was wir Wünschen, und ich glaube diese Spannung macht uns aus. Würde diese nicht mehr sein, wir wären die Welt, das was ist, wir würden uns nicht mehr abgrenzen können, es gäbe uns nicht mehr.

Würde diese Spannung nicht mehr sein, fänden wir eine Neue.
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Re: Die Leiter des Leides und warum es Leid geben muss

Beitragvon Iapetus » Samstag 7. August 2010, 15:38

GambitPi hat geschrieben:Glück und Leid sind im Allgemeinen sicher nicht exklusiv in einer oppositiven Relation, sondern auch voneinander unabhängig zu sehen.


Ich sehe das genau so, deshalb antworte ich mal auf Deinen Einwand neP:

nocheinPoet hat geschrieben:
Hier ist eben mein Widerspruch, ich sage das geht genau so nicht, beides ist nicht zu trennen. Ich versuche es mal deutlicher zu machen. Kann es „mehr“ ohne „weniger“ geben? Gibt es nicht schon durch „mehr“ auch immer „weniger“? Ich zeige auf eine Menge und sage, dort ist „mehr“ als hier und schon ist damit implizit hier „weniger“.


Das ist schon klar. Aber das erklärt noch nicht weshalb Glück und Leid als zwei Enden derselben Leiter zu sehen sind.
Man kann Leid und Glück auch erstmal unabhängig von einander betrachten, dann haben wir eben eine „viel Leid/ wenig Leid“- Leiter sowie eine „viel Glück/wenig Glück“-Leiter.
Ich denke eben es gibt Arten des Leids die sind nicht einfach „weniger Glück“ sondern qualitativ etwas völlig anderes und vom Glück unabhängiges.


GambitPi hat geschrieben:DAMIT ist eine finadverbiale Bestimmung. Es weist also auf ein Ziel hin. Es ist ein per se teleologisches Adverb.
Ich kenne dich ja nicht. Woher soll ich also wissen, daß das für dich privat etwas anderes bedeutet?

Gut werde es mir merken. ;)
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Re: Die Leiter des Leides und warum es Leid geben muss

Beitragvon GambitPi » Sonntag 8. August 2010, 04:14

nocheinPoet hat geschrieben:
GambitPi hat geschrieben:
Ich glaube, wir haben hier ein einfach zu lösendes Problem:

Nicht wenn ich mit mache. ;)


GambitPi hat geschrieben:
Glück und Leid sind im Allgemeinen sicher nicht exklusiv in einer oppositiven Relation, sondern auch voneinander unabhängig zu sehen.

Hier ist eben mein Widerspruch, ich sage das geht genau so nicht, beides ist nicht zu trennen. Ich versuche es mal deutlicher zu machen. Kann es „mehr“ ohne „weniger“ geben? Gibt es nicht schon durch „mehr“ auch immer „weniger“? Ich zeige auf eine Menge und sage, dort ist „mehr“ als hier und schon ist damit implizit hier „weniger“.


Im Kontext dieses Threads macht dein Einwand Sinn. Der Teil meines Beitrags war aber quasi ein Metabeitrag^^- das war über den Thread und nicht auf seinen Inhalt bezogen. Ich habe versucht, mich mit Iapetus auf eine gemeinsame "Arbeitsdefinition" für die Begriffe Glück und Leid zu einigen ;)

nocheinPoet hat geschrieben:Ist kein Leid nicht Glück?



Im Kontext deiner Wortdefinition schon.
Im Allgemeinen jedoch ist Abwesenheit von Leid wohl eher als "neutrale Position" zu sehen. Die Achse Glück/Leid wird einen Nullpunkt in der Mitte haben und den erreicht man, denke ich, wenn einfach nur Abwesenheit von Glück, bzw. Leid vorherrscht.
Es gibt wohl auch Menschen, denen Leid das wahre Glück ist. Das meine ich nicht ironisch, das ist eine Beobachtung meinerseits.
Es gibt Menschen, die suchen ihr Glück geradezu im Leid.
Ich frage mich manchmal, ob die beiden scheinbaren Gegenteile nicht am Ende gar ein und dasselbe sind - ob wir es hier also nicht ganz reel "nur" mit Blickrichtungen zu tun haben.
Ein plattes Bsp.: Für die meisten Menschen bedeutet Hunger Leid. Magersüchtigen bedeutet er Glück.


nocheinPoet hat geschrieben:Die Frage ob man Leid erfahren kann, ohne Glück zu kennen, ist interessant, wobei ich meinen würde, selbst wenn man mit Schmerzen schon geboren wird, das man schon eine Vorstellung davon haben kann, wie es ohne ist. Man kann ein Gefühl nur „weg“ wünschen, wenn man es erkennen kann, ich glaube das jeder der Zahnschmerzen hat, die auch erkennen kann, wenn er immer schon welche hätte, und darunter „leiden“ würde.


Das ist nun die Frage: Bedarf es dazu aber der Kenntnis des Gegenteiligen Gefühls? Oder reicht nicht vielleicht schon die Kenntnis des Nullpunkts, um eine Veränderungen positiv (Glück) oder negativ (Leid) zu bewerten?
Das kommt ein Stück weit auch darauf an, ob diese Einteilung konditioniert oder angeboren ist. Müsste man sich mal schlau machen, ob es dazu bereits Forschungen gibt (kann man sich eigtl. sicher sein).

nocheinPoet hat geschrieben:Einer kann sagen, man ich leide, ich habe bei einem Unfall einen Arm verloren, der andere sagt, man hast Du ein Glück ich habe nicht mal mehr einen.


Ja. Wer ist nun "ämer dran"?
Sorry, so makaber es ist. Aber ich hab mich beim Lesen so beömmelt, das musste sein :twisted:



nocheinPoet hat geschrieben:Du hast es gut erkannt, Grundlage meiner Überlegung war sogar noch härter, es geht um die Aussage, es kann kein Gott geben, weil der nie soviel Leid zulassen würde, oder wenn es ihn gibt, dann ist er nicht „gut“ sondern „böse“ weil er seine Geschöpfe so leiden lässt. Brachte mich mit 10 in eine kleine „Glaubenskrise“. Den Aspekt und den Bezug zu Gott habe ich aber auch noch mal gesondert betrachtet: Warum Gott auch böse ist Und er lässt uns nichts erleben, wenn wir im Grunde nur er sind.


Ich schreibe da dann lieber mal im entspr. Thread was zu. Sonst kommen wir durcheinander...
Zum letzten Satz aber: Wir sind nicht weniger wir, nur, weil wir SiEr sind.
(Dieses SiEr ist kein Schreibfehler. Ich fand nur irgendwann mal, das Artikel Subjekte determinieren und darum Gott ein ganz eigenes braucht und habe dann das dafür hergenommen ;) )



nocheinPoet hat geschrieben:Du bist ja nun Theologe, bist Du nicht sogar Pfarrer? Wie dem auch sei, ist das die Position der evangelischen Kirche? Und was sagen die anderen dazu, ist der Papst auch dieser Meinung? Weißt Du, es steckt meiner Meinung so viel Wahrheit in den Worten, und es ist etwas anderes diese zu hören und darüber nachzudenken, als wenn man das erfahren und gefühlt und in sich gefunden hat. Ich glaube das auch, wir sind ein Traum Gottes, es gibt nichts außerhalb von Gott, ihm war langweilig, er zerlegte sich in ganz viele Teile und spielt das Spiel, mal sehen wann die alle wieder zusammen gefunden haben und erkennen das sie nur ich sind. Man kann es auf viele Arten beschreiben. Mich wundert diese doch schon pantheistische Sichtweise aus Deiner Richtung zu hören. Aber wir haben ja früher schon mal darüber ein wenig diskutiert.


Theologe ja. Pfarrer nicht (mehr).
Ob das die Lehre der evangelischen Kirche ist? Eher nicht. Zum. nicht en gros.
Dabei sollte man aber nicht vergessen, das offizielle Lehre/Gemeindefrömmigkeit und universitäre Forschung oft nicht ganz einhergehen.
Was die Kirche zuweilen recht hilflos agieren lässt (s. Lüdemann ;) ), wenn sie die Forschungsergebnisse nicht falsifizieren und noch weniger aber annehmen kann. :twisted:


nocheinPoet hat geschrieben:
GambitPi hat geschrieben:
Ad 4.) Da denke ich erst noch mal drüber nach, bevor ich antworte :)

Da bin ich gespannt.


Ich auch :D

In diesem Sinne:
Und das ist noch nicht Alles...
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Re: Die Leiter des Leides und warum es Leid geben muss

Beitragvon kiki » Sonntag 8. August 2010, 20:02

ich war wirklich bemüht, alles zu lesen -

muss es leid wirklich geben - - nun peter ja eine ganz dramatische geschichte erlebt - auf und nieder - geht es mit ihm

aber dies ist doch in jedem so - zeiten der "höhe" - zeiten der "tiefe" - wer sagt, dass sie uns eine stufe höher bringen oder herabsetzen?

mir stellt sich die frage: wir leben in einer gemeinschaft - keiner lebt für sich allein - dies kann "leid" nicht mindern, schmälern - ist ja auch verschiedenen es zu bewältign

aber wir können dem anderen das gefühl geben: du bist nicht allein, dir wird geholfen, du kannst dich an mich wenden --

also sagen wir so: leiden mehr oder weniger - können durch die empathie anderer gelindert, geschmälert werden
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Re: Die Leiter des Leides und warum es Leid geben muss

Beitragvon elfenpfad » Mittwoch 25. August 2010, 13:23

nocheinPoet hat geschrieben
Ist eine Welt ohne Leid überhaupt möglich?

Ich sage nein, es ist nicht möglich, schon allein auch wegen der Tatsache der Wechselwirkungen: weil es sich oft so verhält, wie dieses alte Sprichwort ausdrückt : Was dem einen Glück ist, ist dem anderen Leid

Ein Beispiel: Eine Familie muss wegen Konkurs ihr Haus verkaufen, dass sie mit viel Elan und Freude renoviert haben.
Das Haus wird von der Bank versteigert, und kann so günstig von einer anderen Familie erworben werden.

In dieser Geschichte verhält es sich allerdings auch noch so, dass beidseitiges Leid entsteht :
Das einzigste Kind einer alleinerziehenden Mutter -( die auch sonst keine Verwandte hat )- hat im Erwachsenenalter eine tolle Arbeitsstelle im Ausland angeboten bekommen, tausende Kilometer entfernt von zu Hause. Der Sohn nimmt die Stelle freudig an und freut sich auf die Herausforderung und neue Eindrücke.

Ist diese Freude ungetrübt? Nein, denn sowohl er - als auch die Mutter (obwohl sie sich ja für ihr Kind freut ) - erleben die schmerzliche Trennung und müssen mit der Situation umgehen lernen, dass sie sich nur noch sehr selten besuchen können.
Spinnen wir diese Situation weiter aus : der Sohn heiratet und bekommt sein erstes Kind. Grosse Freude herrscht - aber auch hier wieder die schmerzliche Tatsache, dass die grosse Entfernung nur sporadisches familiäres Miterleben/Miteindander im Bezug auf den Nachwuchs, zulässt.


Zwei Beispiele, in denen es um die Lernaufgabe : "loslassen müssen" geht, denn im Grunde besteht das Leiden in der Welt wohl genau deswegen, wegen der individuellen Lernaufgaben, die der Mensch hier auf Erden durchläuft. An denen wir wachsen können, oder zerbrechen.
"Nur das Denken, das wir leben, hat einen Wert.
Hermann Hesse, Demian, Gesammelte Werke Bd. 5"
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Re: Die Leiter des Leides und warum es Leid geben muss

Beitragvon Oneiro » Mittwoch 1. September 2010, 06:53

Jemand der äusserst gut aus seinem Leid, und dem seines Umfeldes, lernen und lehren konnte, war Arthur Schopenhauer, einer der positivsten "Pessimisten" der Philosophiegeschichte.
Dabei war er gar nicht mal sooo pessimistisch, wie oft zu unrecht von ihm behauptet wird.
Er sah den höheren Sinn des Leides, um uns aus unserer Selbst kreierten Illusion "Maya" zu befreien und betrachtete das Menschliche Dasein einfach als eine "Verirrung" ,
"als eine unnützerweise störende Episode in der säligen Ruhe des Nichts". Schopenhauer studierte Asiatische Philosophie, insbesondere vedische Schriften/Brahmanismus,
die Upanisaden, welche die Illusionen der Rollenidentifizierung des Lebewesens mit den Egos entlarven wollten,
in denen sich das Weltbewusstsein/die Weltseele angeblich, laut Vedanta, immer wieder verlieren wird, bis ans Ende aller Zeit.
Leider war er in manchen Episoden seines Lebens extrem Misanthrop (Menschenverachtend), was aber angesichts seiner gnadenlosen Schicksalsschläge verständlich ist.
Ausserdem hat er später gelernt, eine Art "stoische" gleichmütige Gelassenheit gegenüber Schmerz und Vergänglichkeit anzunehmen,
das Leiden als unumstössliche Notwendigkeit des Irdischen Daseins anzuerkennen.
Sogar im Hohen Alter, während er todkrank an Atemnot leidete, erkannte er die Gute Lehre aus Seinem Leiden, relativierte den Pessimismus!
Ich will einen kurzen Ausschnitt aus einer Biographie über ihn zitieren, die Alain de Botton schrieb. Hoffentlich wird dadurch ein wenig klar, worauf ich hinaus will.
Herr Botton möge mir verzeihen, falls ich einen Tacken zuviel abschreibe ;) ,

"Sein Leben, 1788 - 1860

1788
Arthur Schopenhauer wird in Danzig geboren. In späteren Jahren blickt er mit Bedauern auf dieses Ereignis zurück:
>>Man kann auch unser Leben auffassen als eine unnützerweise störende Episode in der säligen Ruhe des Nichts<<
an anderer Stelle heisst es, >>daß das menschliche Dasein eine Art Verirrung seyn müsse...<< ... Schopenhauers Vater Heinrich, ein wohlhabender Kaufmann,
und seine Frau Johanna, eine rege Salondame und 20 Jahre jünger als ihr Gatte, interessieren sich nur wenig für ihren Sohn,
der einer der grössten Pessimisten der Philosophiegeschichte werden sollte.
(...)

1803 - 1805
Nach dem offensichtlichen Selbstmord des Vaters bleibt der siebzehnjährige Schopenhauer mit einem Vermögen zurück, dessen Grösse die Gewähr bietet,
dass er nie wird arbeiten müssen. Der Gedanke hat für ihn nichts tröstliches. Später wird er sich erinnern: >>In meinem 17ten Jahre, ohne alle gelehrte Schulbildung, wurde ich vom Jammer des Lebens so ergriffen, wie Buddha in seiner Jugend, als er Krankheit, Alter, Schmerz und Tod erblickte<<
{...)

1809 - 1811
Schopenhauer studiert an der Universität Göttingen und fasst den Entschluss, Philosoph zu werden: >>Das Leben ist eine mißliche Sache, ich habe mir vorgesetzt,
es damit hinzubringen, über dasselbe nachzudenken.<< Bei einem Ausflug aufs Land schlägt ein Freund vor, ob sie nicht die Bekanntschaft von Frauen machen könnten.
Schopenhauer vereitelt das Vorhaben mit den Worten, das Leben sei >>so kurz, fragwürdig und vergänglich, daß es sich nicht lohnt, große Anstalten zu treffen<<.

1813
Er besucht seine Mutter in Weimar. Johanna Schopenhauer hat sich mit dem berühmtesten Bewohner der Stadt angefreundet, mit Johann Wolfgang von Goethe,
der sie regelmäßig besucht (und sich gern mit Sophie, Johannas Haushälterin, und mit Adele, Arthurs jüngerer Schwester, unterhält).
Nach einer ersten Begegnung schildert Schopenhauer in einem Brief Goethe als >>heiter, gesellig, günstig, freundlich: gepriesen sey sein Name in alle Ewigkeit!<<
(...)

1818
Er beendet Die Welt als Wille und Vorstellung vpn dem er weiß, daß es sich um ein Meisterwerk handelt. Es erklärt, warum es ihm an Freunden mangelt:
>>Ein Mann von Genie kann schwerlich gesellig seyn. Denn welche Dialoge sollten so geistreich seyn, als seine Monologen?<<
(...)

1819
Die Welt als Wille und Vorstellung wird veröffentlicht. Von dem Werk werden 230 Exemplare abgesetzt. >>Ist doch jede Lebensgeschichte eine Leidensgeschichte!<<
>>Wenn ich doch nur die Illusion los werden könnte, das Kröten- und Ottern-Gezücht für meines Gleichen anzusehen, da wäre mir viel geholfen.<<
(...)

1821
Schopenhauer verliebt sich in Caroline Medon, eine neunzehnjährige Sängerin. Die Beziehung dauert mit Unterbrechung zehn Jahre, doch Schopenhauer hat nicht den Wunsch
dem Arrangement eine feste Form zu geben. >>Heirathen heißt das mögliche thun, einander zum Ekel zu werden.<<
Der Vielweiberei hingegen könnte er etwas abgewinnen: >>Die Polygamie hätte, unter vielen Vortheilen, auch den, daß der Mann nicht in so genaue Verbindung
mit seinen Schwiegerältern käme, die Furcht, vor welcher jetzt unzählige Ehen verhindert. 10 Schwiegermütter statt Einer!<< ( :lol: )
(...)

1831
Inzwischen dreiundvierzig und in Berlin lebend, denkt Schopenhauer noch einmal daran, sich zu verheiraten. Er wirbt um Flora Weiß, ein schönes,
aufgewecktes Mädchen, daß gerade siebzehn geworden ist. Auf einer Kahnpartie möchte er sie für sich einzunehmen, lächelt sie an und reicht ihr weiße Trauben.
Flora vertraut später ihrem Tagebuch an: >>Ich wollt sie aber nicht haben. Mir war's eklig, weil der olle Schopenhauer sie angefaßt hatte,
und da ließ ich sie so ganz sachte ins Wasser gleiten.<< hastig flieht Schopenhauer Berlin. >>Das Leben hat keinen wahren ächten Gehalt,
sondern wird bloß durch Bedürfniß und Illusion in Bewegung erhalten.<<

1840
Er legt sich einen neuen Pudel zu, den er, nach der Weltseele der Brahmanen Atma nennt. Überhaupt fühlt er sich hingezogen zu den östlichen Religionen,
insbesondere zum Brahmanismus, der Lehre der >>Buddhaisten ..., des edelsten und ältesten Volkes<<.
In den Upanischaden liest er jeden Abend ein paar Seiten. Als die Putzfrau Margaretha Schnepp einmal seine Anweisung,
den Buddha in seinem Arbeitszimmer nicht zu entstauben, missachtet hat, droht er, sie zu entlassen.
Schopenhauer verbringt immer mehr Zeit allein. (...) Er gewöhnt sich an tagsüber längere Zeit zu schlafen: >>Wäre Leben und Daseyn ein erfreulicher
Zustand, so würde jeder ungern dem bewußtlosen Zustand des Schlafs entgegen gehn und gerne von ihm wieder aufstehn. Aber es ist gerade umgekehrt:
jeder geht sehr gerne schlafen und steht ungern wieder auf.<<
(...)

1844
Er veröffentlicht die Zweite, auf zwei Bände erweiterte Ausgabe von Die Welt als Wille und Vorstellung .
Im Vorwort schreibt er: >>Nicht den Zeitgenossen, nicht den Landsgenossen, - Der Menschheit übergebe ich mein nunmehr vollendetes Werk,
in der Zuversicht, daß es nicht ohne Werth für sie seyn wird; sollte auch dieser, wie es das Loos des Guten in jeder Art mit sich bringt,
erst spät erkannt werden.<< Das Werk verkauft sich keine dreihundert mal.
(...)

1850
Atma stirbt. Schopenhauer kauft einen braunen Pudel namens Butz, der ihm von allen der liebste wird (...)
Bei den Nachbarskindern heißt das Tier nur >>der junge Schopenhauer<<
(...)

1853
(...)Er erhält Fanpost. Eine Frau aus Schlesien schickt ihm ein langes anspielungsreiches Gedicht. Ein Herr aus Böhmen schreibt, er bekränze Schopenhauers Bildnis
alle Tage neu. Nachdem man ein langes Leben in Bedeutungslosigkeit und Missachtung hingebracht hat, kommen sie nun mit Pauken und Trompeten und meinen,
das sei etwas, soll Schopenhauer hierauf zwar erwidert haben, eine gewisse Genugtuung bereitet ihm die späte Anerkennung aber doch.
>>Hätte wohl je irgend ein großer Geist sein Ziel erreichen und ein dauerhaftes Werk schaffen können, wenn er das hüpfende Irrlicht der öffentlichen Meinung,
d.h. der Meinung kleiner Geister, zu seinem Leitstern genommen hätte?<<
(...)

1859
Nun da ihm der Ruhm sogar weiblichen Zuspruch einträgt, gewinnt sein Frauenbild sanftere Konturen. Entgegen früherer Meinung:
>>die Weiber eignen sich zu Pflegerinnen und Erzieherinnen unserer Kindheit gerade dadurch, daß sie selbst kindisch, läppisch und kurzsichtig,
mit EInem Worte. Zeit Lebens große Kinder sind<< gesteht er ihnen nun zu, dass sie zur Selbstlosigkeit und zur EInsicht fähig sind.
EIne attraktive Bildhauerin und Bewunderin seiner Philosophie, Elizabeth Ney (eine Nachfahrin von Napoleon Marschall),
kommt im Oktober nach Frankfurt und bezieht für einen Monat Quartier in seiner Wohnung, um eine Büste von ihm zu machen.
>>Sie arbeitet den ganzen Tag bei mir. Wenn ich vom Essen komme, trinken wir zusammen Kaffee, sitzen beieinander auf dem Sopha,
da komme ich mir dann vor wie verheiratet.<<

1860
(...)>>Daß seinen Leib nun bald die Würmer zernagen würden, sei ihm kein arger Gedanke: dagegen denke er mit Grauen daran,
wie sein Geist unter den Händen der >Philosophieprofessoren< zugerichtet werden würde<< berichtet ein Gesprächspartner.
Ende September, er klagt schon eine Weile über Atemnot, wenn er von seinen Spaziergängen am Mainufer heimkehrt,
steht er eines Morgens später als gewöhnlich auf und stirbt, noch immer überzeugt,
dass das >>menschliche Daseyn eine Art Verirrung seyn müsse<<

Solcher Art war das Leben eines Philosophen, der dem Herzen Beistand zu leisten vermag wie kein anderer."

Quelle: Alain de Botton, Trost bei gebrochenem Herzen

Bild
"Einen Traum kann man nicht bauen, ein Traum baut sich. Er entzieht sich unserem Willen. Er kommt uns, oder er kommt uns eben nicht.
Der Traum hat sein eigenes Reich, und dieses Reich herrscht, wo die Möglichkeit einer Willenskraft ausgeschaltet ist.
In der Nacht schläft das Wollen, und wenn es nicht schläft, schlafen auch wir nicht."
Friedrich Weinreb - Kabbala im Traumleben des Menschen
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Re: Die Leiter des Leides und warum es Leid geben muss

Beitragvon elfenpfad » Mittwoch 15. September 2010, 16:11

hi Oneiro

Oneiro hat geschrieben
Jemand der äusserst gut aus seinem Leid, und dem seines Umfeldes, lernen und lehren konnte, war Arthur Schopenhauer, einer der positivsten "Pessimisten" der Philosophiegeschichte.
Sogar im Hohen Alter, während er todkrank an Atemnot leidete, erkannte er die Gute Lehre aus Seinem Leiden, relativierte den Pessimismus!

Das ist wirklich interessant und ein gutes Beispiel für meine Aussage: dass man am erfahrenen Leid entweder wachsen oder zerbrechen kann :)

Dass man auch in leidvollen Situationen positive Erlebnisse erfahren kann, dafür gibt es immer wieder gute Beispiele. Und dass man wichtige Lebenserfahrungen macht, die wegweisend sein können.
Ich hab mal ein Buch gelesen, geschrieben von einem Mann, der ein Gefangenlager überlebt hat, in dem unmenschliche Zustände herrschten. Er hat dort einen Mann kennengelernt, der zu seinem besten Freund wurde, und er ist für diese Begegnung in diesem Lager so dankbar.
Er bezeichnete sich selbst, vor dieser Inhaftierung, als einen zynischen Eigenbrötler, der keine Freunde brauchte. Indem dieser gewonnene Freund ihm gegenüber so voller Mitgefühl und Hilfsbereitschaft blieb, obwohl ja selbst diesem Leid ausgesetzt, hinterfrug er seine gesamte Lebenseinstellung. Dank ihm konnte er mit der Situation umgehen, ohne zu verzweifeln und ohne sich aufzugeben.
Leider weiss ich weder Titel noch Verfasser mehr, es ist schon lange her, dass ich es gelesen habe, aus einer Bücherei ausgeliehen.
"Nur das Denken, das wir leben, hat einen Wert.
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Re: Die Leiter des Leides und warum es Leid geben muss

Beitragvon elfenpfad » Montag 9. Januar 2012, 23:05

Ich stiess vorhin wieder einmal auf dieses Video von Eckhart Tolle, über den Umgang, den Sinn und der Aufhebung des Leides,
und erinnerte mich an diesen thread.
Er ist sehr eindrücklich : )

"Nur das Denken, das wir leben, hat einen Wert.
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