Hallo zusammen,
vor gut drei Jahren habe ich mal im Forum von astronews.com damit begonnen, einen "Kompetenzcheck für GdM-Poster" zu entwickeln. Es ging damals besonders darum, das Phänomen der "crank-Schwemme" vornehmlich in naturwissenschaftlichen Diskussionen, zu begleiten. Und ja natürlich auch darum, um diese bei astronews.com einzudämmen.
Die Naturwissenschaften im besonderen, die Wissenschaften im allgemeinen, halten natürlich besonders hohe Hürden für Laien bereit, mit unausgegorenem Unsinn gegen den Stachel des Mainstream löcken zu können. Hürden, die insbesondere im umgangssprachlichen Plausch weder so gewohnt noch verbindlich sind und in der Regel auch nicht durchgesetzt werden. Kein normal denkender Mensch käme z. B. auf den Gedanken, in einem üblichen Gespräch das Gegenüber aufzufordern, für seine Meinung den Beleg eines oder mehrer Artikel einzufordern, die ein peer review durchlaufen haben. Man stelle sich eine geradezu klassische Stammstischrunde vor, in der bei zunehmend bierschwangerer Atmosphäre die politische und populistische Phrasen dreschende Runde ihre Pads oder Ultrabooks auspacken und das gerade in die Versammlung geworfene Zitat eines BILD-, Blick- oder SUN-Artikels gegenchecken. Unvorstellbar! Unvorstellbar?
Sobald es um eher "softe", alltagstaugliche Meinungsrunden geht, unterscheiden sich Foren- oder Blogdiskussionen strukturell nicht von den eher traditionellen Stammtischrunden am dicken hölzernen Tisch, an dem entgegen eigenem Anspruch meist eher dünne Bretter gebohrt werden. Der Vorteil im virtuellen Rund ist die nahezu instantane Verfügbarkeit des Internetboulevards, der idealerweise in bookmarks geparkt, die individuell bevorzugten Informationsquellen als Gesinnungsgutachten schlechthin mobilisierbar macht. Die meist äusserst dynamische Vermischung von Gossip, Gerüchten, Unsinn, Agitation und Propaganda überwindet dabei nicht selten die intellektuelle Firewall, die man als aufklärerisches Analogon zur Blut-Hirn-Schranke als allgemein vorhanden voraussetzen möchte.
Die Erfahrung zeigt, dass in eher trivialen Meinungskonflikten neben den üblichen Verdächtigten auch in Spezialkompetenzen gut geschulte und respektable Mitmenschen erstaunliche geistige Ausfälle erleiden und zum bemitleidenswerten Teletubby degenerieren können. Als These durchaus haltbar ist, dass für Konfliktthemen des gesellschaftlichen Zusammenhalts und politischer Kontroversen einfach nicht die Investitionen getätigt und die Ressourcen bereitgestellt werden, die auch diese Diskussionsfelder dringend benötigen.
Die klassischen Diskussionen der Präinternetära waren durch die traditionellen Medien gespeist. Man hatte ein überschaubares Spektrum der in der Wolle gefärbten Meinungsinterpreten und Ideologiebildner, womöglich mit einem klar deutbaren Stallgeruch, der aus den grossen und orientierenden Konliktlinien dividierend, aber identitätsbildend war. Links und rechts, religiös oder säkalur, Stadt gegen Land. Als sich diese festgefahrenen Orientierungen auflösten und neue Milieus entstanden, kam das Web obendrauf, das der Beliebigkeit und Austauschbarkeit von informationeller Unverbindlichkeit, moralischer und intellektueller Volatilität einen libertären Durchbruch brachte, ohne eine nach wie vor notwendig korrespondierende Verantwortlichkeit und reale Emanzipation aufzubauen.
Die Einpeitscher, Verschwörungstheoretiker, Truther, Verführer, Dummschwätzer, spin-doctors, Sektierer und Propagandisten vermehrten sich nur ungebremster, völlig ausser Kontrolle. Mit diesem Thread möchte ich eine Diskussion eröffnen, die Orientierung bieten soll. Wie überlebt man im Web, wenn man selbst gesellschaftliche und politische Ereignisse kritisch begleiten will? Wie kann man im Internet verlässliche Information generieren, wie lassen sich Quellen als seriös bewerten, welche Techniken sind dafür notwendig und einfach einsetzbar? Wie erkenne ich Webpräsenzen, denen es nicht um Information, sondern um Manipulation geht und ihren Konsumenten im besten Fall einen Bären aufbinden wollen? Und im allerschlechtesten Fall darauf abzielen, verführbare Mitmenschen in tumbe Extremisten zu verwandeln?
Es geht um positive Beispiele der Aufklärung, um Mittel und Ressourcen, Menschen zu emanzipieren. Und es geht um die Fallen im Internet, in der Gestalt traditioneller Medien mit Webanbindung, Agitpropeinheiten von Schurkenstaaten und Vereinigungen, die ihre rückständige und menschenverachtende Ideologien pushen wollen. Es geht um Blogger, Meinungsbildner, Irrationalisten und Extremisten, Publizisten und Journalisten, die niemand braucht, um eigene verantwortungsvolle Texte und Meinungen im Web verfassen, diskutieren und dazu auch stehen zu können.
Dieses Projekt ist ein Experiment, das ich dem sich neu konsolidierenden Webportal von AllTopic anbieten möchte. Es ist nicht ganz uneigennützig, da ich mich aus den ganz tagesaktuellen Diskussionen etwas zurückziehen möchte. Und es ist hoffentlich insofern auch gut egoistisch lanciert, dass ich daraus etwas mitnehmen kann.
Mal sehen, ob das so klappt, wie ich es mir vorstelle. Im Falle des Scheiterns liegt die Verantwortung vermutlich bei mir.
Grüsse galileo2609