Planetoid mit grösstem bekannten Perihel entdeckt

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Planetoid mit grösstem bekannten Perihel entdeckt

Beitragvon ralfkannenberg » Mittwoch 26. März 2014, 19:00

Hallo zusammen,

nun ist die "Sensation" heraus: nach über einem Jahr Messen der Bahndaten hat sich herausgestellt, dass der transneptunische Planetoid 2012 VP113 ein Perihel (sonnennächster Punkt) von über 80 AE hat ! Das ist sogar noch geringfügig weiter als derjenige der Sedna.

Sein Durchmesser wird auf 300 km - 1000 km geschätzt.

Gemäss gängiger Theorien sollte es in unserem Sonnensystem keine Körper mit Perihelia grösser ~45 AE geben; nun sind 3 von ihnen bekannt:

Sedna mit 76 AE
Buffy mit 51 AE
2012 VP113 mit 80 AE


Freundliche Grüsse, Ralf


P.S. 1 AE ("astronomische Einheit" bzw. engl. AU) = Abstand Sonne - Erde
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Re: Planetoid mit grösstem bekannten Perihel entdeckt

Beitragvon Der Neandertaler » Freitag 28. März 2014, 16:32

Hallo Ralph.
Erklär doch bitte einem Laien wie mir mal, was dies bedeutet?
Je größer AE - je näher zur Sonne, desto wärmer? Je wärmer, desto mehr verdunstet eventuell vorhandenes Wasser. Oder besteht die Hoffnung, daß dort Leben, wie wir es kennen, besteht?
Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont.

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Re: Planetoid mit grösstem bekannten Perihel entdeckt

Beitragvon ralfkannenberg » Freitag 28. März 2014, 17:13

Der Neandertaler hat geschrieben:Hallo Ralph.
Erklär doch bitte einem Laien wie mir mal, was dies bedeutet?
Je größer AE - je näher zur Sonne, desto wärmer? Je wärmer, desto mehr verdunstet eventuell vorhandenes Wasser.

Hallo Neandertaler,

zwar sind "Meter" die korrekte Einheit ("SI-Einheit"), doch in der Astronomie ist das eine sehr unbequeme Einheit, weil man mit unanschaulich riesigen Zahlen arbeiten müsste. Aus diesem Grunde hat man sich angewöhnt, in der "Astronomie der Sterne" die Längeneinheit "Lichtjahr" zu verwenden und in der Astronomie der "Planeten unseres Sonnensystems" die Längeneinheit "Astronomische Einheit".

1 Astronomische Einheit, also der durchschnittliche Abstand von der Erde zur Sonne, beträgt in unserer täglichen Welt knapp 150 Millionen Kilometer und in der Welt der Sterne 8 Lichtminuten.

Im Altertum glaubte man, dass unser Sonnensystem jenseits der Saturnbahn ende: das war der äusserste Planet und irgendwie wäre niemand auf die Idee gekommen, das irgendwie anzuzweifeln. Die 7 Wandelsterne, also Sonne und Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn, sind seit dem Altertum bekannt und (neben Kometen) die einzigen sich bewegenden Körper vor dem majestetischen und konstant-anmutenden und vertrauten Sternenhintergrund.

Natürlich weiss man heutzutage, dass sich in Wirklichkeit auch die Sterne mit grossen Geschwindigkeiten bewegen, doch aufgrund der riesigen Entfernungen kann man das während eines Menschenlebens in der Regel von blossem Auge nicht erkennen.

Als dann 1781 der Uranus im doppelten Saturnabstand entdeckt wurde, kam das völlig unerwartet, und bis 1930 kamen dann noch der Neptun und der Pluto dazu. Dahinter aber war Schluss, unser mit Planeten gefülltest Sonnensystem quasi zuende.

Heutzutage ergibt sich uns ein völlig anderes Bild:

Im Vergleich mit anderen Sternen stellt man fest, dass der innerste Planet Merkur eigentlich keinesweg ein "naher" Planet ist, sondern vielmehr ein Planet, der von seinem Mutterstern eher "weit" entfernt ist: die meisten anderen Sterne, um die man Planeten kennt, haben deutlich enger umlaufende Planeten. Diese "normalen" Planeten haben typischerweise Umlaufzeiten von 3 bis 10 Tagen, während der Merkur doch immerhin 88 Tage für einen Sonnenumlauf benötigt. Und die Erde gut 365 Tage.

Aber auch bezüglich der äusseren Bereiche ist man zu neuen Erkenntnissen gelangt: die "komische" Umlaufbahn des Pluto ist eher etwas ganz normales und in den äusseren Bereichen unseres Sonnensystemes gibt es zahlreiche weitere Himmelskörper nicht unähnlich dem Pluto, die ebenfalls vergleichbare Bahnen haben. Ich will jetzt hier nicht auf Details eingehen, nur so viel: die Bahnen liegen nach wie vor "weitgehend" in der Planetenebene, sie haben aber oftmals eine höhere Exzentrizität, d.h. sie sind mehr oval als diejenigen der grossen Planeten. "Oval" ist streng genommen falsch, diese Bahnen sind also mehr elliptisch.

Der erste Himmelskörper jenseits der Neptunbahn, der entdeckt wurde, war also der im Jahre 1930 der Pluto, dann gelang im Jahre 1977 die Entdeckung eines erstaunlich grossen Planetoiden namens Chiron, der sich weit ausserhalb des Planetoidengürtels (zwischen Mars und Jupiter) befand und seit 1992 hat man nun über 1000 Planetoiden jenseits der Neptunbahn entdeckt. Wobei Planetoiden wie Chiron ebenfalls hierzu gehören, seine Bahn wurde im Laufe der Zeit einfach nach innen abgelenkt; man nennt solche Planetoiden übrigens "Zentauren", um das Wort mal erwähnt zu haben. Die eine Entdeckung dieser Woche betrifft übrigens so einen Zentauren, und zwar den grössten von ihnen, nämlich Chariklo, der geringfügig grösser als Chiron ist; um ihn wurden nun 2 Ringe entdeckt. Völlig sensationell ist das übrigens nicht; zwar ist es die erste Entdeckung dieser Art, umgekehrt wäre es ausserordentlich überraschend, wenn es keine solchen Ringe gäbe. Deswegen habe ich zu diesem Thema auch keinen eigenen Thread eröffnet.

Wie auch immer: ab 1992 wurden immer mehr solcher Planetoiden jenseits der Neptunbahn sowie solcher Zentauren entdeckt und man fand auch immer grössere Exemplare. Recht bald fand man neben den Zentauren und den TNO ("transneptunische Objekte") auch solche, die hochelliptische Bahnen aufweisen und in ihrem sonnenfernsten Punkt viel weiter hinausragten, das sind die SDO ("scattered disc objects").


Im Jahre 2002 wurde die Entdeckung eines Planetoiden namens Quaoar jenseits der Neptunbahn bekanntgegeben, der halb so gross wie der Pluto war und es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, bis auch ein weiterer plutogrosser Planetoid entdeckt würde, was dann im Jahre 2005 auch der Fall war. Dieser damals als "10.Planet" bezeichnete Planetoid war geringfügig grösser als Pluto und hatte zur Folge, dass er erstens keinen Planetenstatus zuerkannt bekam und Pluto den seinen aberkannt bekam. Das ganze führte zu rechten Streitereien innerhalb der Astronomenschar und der IAU (International Astronomical Union), so dass man den neuen Körper Eris nannte - der Zankapfel der Eris hatte ja auch zu einem Streit unter den Göttinnen geführt. Die Eris ist übrigens auch ein SDO.

Doch diese Objekte hatten eines gemeinsam: ihre Perihelia, also ihre sonnennächsten Punkte, waren verhältnismässig nahe, nicht weiter entfernt als gut 45 AE, also 1.5-fachem Neptunabstand.

Mit einer Ausnahme: die zwei Jahre nach dem Quaoar wurde die Sedna entdeckt und ihr Perihelion lag bei 76 AE, was viel zu weit draussen war. Kommt hinzu, dass die Sedna mit 2/3 Plutodurchmesser zu den "Grossen Acht" gehört.

Bis heute können sich die Astronomen nicht erklären, was das Perihel der Sedna so stark angehoben hat, und schon damals wurde vermutet, dass die Sedna lediglich die erste Entdeckung einer weiteren Planetoiden-Population ist. Denn es wäre ein gewaltiger Zufall, wenn das einzige Objekt dieser Gruppe ausgerechnet jetzt während ihrer 10000-jährigen Umlaufzeit so sonnennahe steht, dass man sie entdecken kann.

Jetzt hat man ein zweites Objekt dieser Gruppe entdeckt und niemand zweifelt daran, dass es noch viel mehr von ihnen gibt. Das Studium ihrer Umlaufbahnen wird also wesentliche Erkenntnisse über die Entstehung und die weitere Geschichte unseres Sonnensystems liefern.

Der Neandertaler hat geschrieben:Oder besteht die Hoffnung, daß dort Leben, wie wir es kennen, besteht?

Es geht also nicht darum, ob es dort neue Lebensformen gibt - dafür ist es dort viel viel viel zu kalt, sondern es geht um das Verständnis, woraus unser Sonnensystem überhaupt besteht und wie sich unser Planetensystem entwickelt hat.


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Re: Planetoid mit grösstem bekannten Perihel entdeckt

Beitragvon Der Neandertaler » Sonntag 30. März 2014, 15:54

Hallo Ralph.
Danke für die ausführlichen Erklärung - sie haben mir sehr geholfen.
Nun kann man sehr gut beobachten, wie das Gehirn funktioniert. Wie Wissen ... wie Erlerntes (aus) sortiert wird. Als ich nämlich Deine Erläuterungen las, stellte ich mit Verwunderung fest, daß ich einiges mal (in der Schule? ... dritte Klasse?) gelernt ... oder irgendwo gelesen habe.
Einzig der Begriff 'AE' war mir unbekannt - Lichtjahr, respektive Lichtgeschwindigkeit war mir bekannt. Ich war schlicht zu faul, im Lexikon nachzuschauen.
    (warum auch? Das hab mich gefragt, Du bist bist in einem Wissenschaftsforum - dumm fragen darf jeder einmal, Fachleute erklären's Dir schon.)
So habe ich noch behalten, daß die Lichtgeschwindigkeit etwa 300.000 km/s beträgt (etwa 1,1 Milliarde Km/h).
    ... daß die Entfernung Erde-Sonne ca. 150.000.000 Km beträgt - also etwa 500 Sekunden.
Die Entfernung zur Sonne:
    Venus: 108 Millionen Km - Temperatur von rund 462 °C
    Erde: 150 Millionen Km - Temperatur von rund 15 °C
    Mars: 228 Millionen Km - Temperatur von rund 50 °C
    Jupiter: 778 Millionen Km - Temperatur von rund 130 °C
Mit dem Vorgetragenen möchte ich nun nicht nur meine vorhandenen Wissenslücken übertünschen (mehr Schein als Sein!), sondern dies hat auch einen Hintergrund.
Da ich nur insofern mit diesem Thema in Berührung komme, in wieweit es mit der Menscheitsgeschichte ("Entstehung des Lebens") zu tun hat, mich dieses aber doch schon irgendwie fasziniert, stellen sich mir nun einige Fragen.

Du hast gesagt:
    "...neue Lebensformen gibt - dafür ist es dort viel viel viel zu kalt."
Zwar kann es doch im Weltall, meines Wissens, nie kälter als 0 k werden. (rund −273 °C)
    1983 wurde in der Antarktis (Wostok-Station) −89,2 °C gemessen. Das nur nebenbei - um aufzutrumpfen ... um nicht ganz unterzugehen.)
Kälte ansich - in gewißen Maßen - war also offensichtlich noch nie ein absoluter Hinderungsgrund für Leben.

Betrachtet man nun obige Tabelle (vorausgesetzt sie stimmt! Entfernung - Temperatur) - Frage(n):
  • Wieso also der Unterschied der theoretischen Kelvin-Temperatur zur tatächlichen Planeten-Temperatur?
    (an der Oberflächen-Atmosphäre kann es jawohl nicht liegen? vielleicht an der Struktur?)
  • Wenn man also die Temperatur der Planeten oder ??? offensichtlich nicht in Korrelation setzen kann, wie kann man die Temperatur dann berechnen?
    ... hat man sie schon berechnet?
  • Weiß man über sie Struktur ... Atmosphäre dieses "transneptunische Planetoid"en?

    Ich meine irgendwo gelesen zu haben, daß man die Temperatur eines Planeten (oder ???) gemessen hat.
    (ich meine, mit dem Weltraumteleskop Spitzer? - ich glaube, sie lag bei etwa 2000 °C)
  • ... hat man sie auf 2012 VP113 gemessen?
Entschuldige die naiven Fragen (ich lerne noch), aber es interessiert mich!
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Re: Planetoid mit grösstem bekannten Perihel entdeckt

Beitragvon ralfkannenberg » Montag 31. März 2014, 11:39

Der Neandertaler hat geschrieben:Die Entfernung zur Sonne:
    Venus: 108 Millionen Km - Temperatur von rund +462 °C
    Erde: 150 Millionen Km - Temperatur von rund 15 °C
    Mars: 228 Millionen Km - Temperatur von rund 50 °C
    Jupiter: 778 Millionen Km - Temperatur von rund 130 °C

Hallo Neandertaler,

nur der Vollständigkeit halber:

Merkus: 58 Millionen Kilometer, maximale Tagestemperatur von rund +430 °C

Also: Halber Abstand als Venus, aber dennoch kälter

Tendentiell ist Deine Auflistung also schon richtig, aber es kann Zusatzeffekt geben, wie bei der Venus der enorme Treibhauseffekt.

Der Neandertaler hat geschrieben:Du hast gesagt:
    "...neue Lebensformen gibt - dafür ist es dort viel viel viel zu kalt."

Sagen wir es einmal so: die Frage, ob es auf der kleinen Sedna, also auf "Biden", Leben gibt, steht eigentlich nicht im Raum; die Frage ist eher, unser Planetensystem und seine Entwicklung zu verstehen.

Natürlich ist es nicht verboten, sich über Leben auf "Biden" Gedanken zu machen, aber das ist nicht mein Interessensgebiet und auch kaum das derjenigen, die sich mit den äusseren Regionen unseres Sonnensystems beschäftigen.

Was eine Atmosphäre auf "Biden" anbelangt, so dürfte diese auf den Planeten niedergeregnet und dort gefroren sein. Für die Untersuchung einer Atmosphäre eines solchen Körpers wäre vermutlich ein TNO wie die Eris weit spannender, weil diese einfacher zu messen ist und dessen Bahn auch bis fast 100 AE hinausragt. Derzeit befindet sich Eris ja in der Nähe ihres sonnenfernsten Punktes, ist also weiter draussen als Sedna und "Biden".


Freundliche Grüsse, Ralf


P.S. Ich habe Deine Temperaturangabe der Venus korrigiert, das dürfte ein harmloser Vorzeichenfehler gewesen sein; so harmlos, dass ich ihn bis eben übersehen habe.
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Re: Planetoid mit grösstem bekannten Perihel entdeckt

Beitragvon Der Neandertaler » Montag 31. März 2014, 12:01

Hallo Ralph.
Ich danke Dir nochmals.
(auch für die Verbesserung ... ohne Schelte. War in der Tat ein Flüchtigkeitsfehler - 3-?)
Mein Dank wird Dir ewig nachschleichen.
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