Neuigkeiten aus dem Kuipergürtel (Chiron, Pluto & Co.)

Moderator: nocheinPoet

Re: Neuigkeiten aus dem Kuipergürtel (Chiron, Pluto & Co.)

Beitragvon ralfkannenberg » Mittwoch 9. November 2016, 14:14

Dgoe hat geschrieben:
ralfkannenberg hat geschrieben:woher wusste Ortiz, wohonm Stoss sein Teleskop richten sollte ?

Antwort:
He says that he found Haumea in late July 2005, on images taken on March 7, 9, and 10, 2003.

Hallo Dgoe,

jetzt kommen wir der Sache näher.

Tatsächlich genügen aus mathematischer Sicht 3 Beobachtungen, um eine Planetoidenbahn bestimmen zu können, das war ja der Durchbruch von Carl-Friedrich Gauss, als er im Jahre 1801 die Position des erstentdeckten Planetoiden Ceres nach 1 Jahr berechnen und die Astronomen ihn dann wiederentdecken konnten.

Nur: das gilt nur im idealen Fall, dass die Messdaten exakt sind. Und das sind sie nicht, sie haben kleine Ungenauigkeiten. Bei einem Planetoiden im Abstand von 50 AU genügen drei Beobachtungspunkte in nur 4 Tagen nicht aus, um die Bahnelemente genügend genau bestimmen zu können. Bei den beiden grössten Zentauren, die beide leider verloren gegangen sind, hatte man über einen viel längeren Zeitraum 10 bzw. 14 Messungen, Du kannst die Details für 1995 SN55 und 2010 TR19 nachschauen. Und die beiden waren näher als die Haumea, hatten also eine viel grössere Eigenbewegung; 1995 SN55 beispielsweise war knapp 40 AU entfernt.

Was ich sagen will: aus den 3 Beobachtungen konnte man ungefähr schätzen, wie weit der weg ist und wie gross der ist, aber nicht seine Bahn bestimmen. Insbesondere konnte man aus diesen 3 Beobachtungen auch nicht auf das prediscovery image aus dem Jahre 1955 schliessen.

Dazu brauchte man also noch dringend eine Beobachtung aus dem Jahre 2005, denn in den 3 Jahren seit dem ersten 3 Beobachtungen ist die Haumea ein gutes Stückchen weitergezogen. Hell genug war die Haumea ja, man wusste nur nicht, wohin genau zu schauen ...

Und jetzt fehlt nur noch 1 Puzzlesteinchen, um herauszufinden, wohin das Amateurteleskop auf Mallorca gerichtet werden musste, und dieses Puzzlesteinchen hat etwas mit "K40506A" zu tun.


Freundliche Grüsse, Ralf


EDIT 15:56 Uhr: Korrekturen
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Re: Neuigkeiten aus dem Kuipergürtel (Chiron, Pluto & Co.)

Beitragvon Dgoe » Mittwoch 9. November 2016, 18:10

Hallo Ralf,

da sie so hell ist, brauchte man vielleicht nur etwas in der Nähe zu suchen, tendenziell eher entlang der Ekliptik. Vielleicht konnten auch Bildanalysetools schon die ungefähre Bahnrichtung bestimmen?

Gruß,
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Re: Neuigkeiten aus dem Kuipergürtel (Chiron, Pluto & Co.)

Beitragvon ralfkannenberg » Mittwoch 9. November 2016, 18:22

Dgoe hat geschrieben:da sie so hell ist, brauchte man vielleicht nur etwas in der Nähe zu suchen,

Hallo Dgoe,

die Wortwahl "hell" war wohl irreführend ...


Dgoe hat geschrieben:tendenziell eher entlang der Ekliptik.

Die Haumea ist fast 30° zur Ekliptik geneigt.


Dgoe hat geschrieben:Vielleicht konnten auch Bildanalysetools schon die ungefähre Bahnrichtung bestimmen?

Man braucht etwa 1 Jahr, um Bahndaten zu bestimmen. Vom im November vergangenen Jahres entdeckten sonnenfernsten Planetoiden hat man immer noch nichts Neues gehört. Da helfen die schönsten Bildanalysetools nicht weiter. Chad hatte mir geschrieben, dass das paper im Juli fertig sein wird, aber nun ist schon November.


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Re: Neuigkeiten aus dem Kuipergürtel (Chiron, Pluto & Co.)

Beitragvon Dgoe » Mittwoch 9. November 2016, 18:34

Verstehe,

aber wie hat Stoss dann die Position auf den Aufnahmen von 1955 dann finden können. SO ein Zufall...

Wird tatsächlich langsam handfester. Stoss könnte mehr dazu sagen!!

Gruß,
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Re: Neuigkeiten aus dem Kuipergürtel (Chiron, Pluto & Co.)

Beitragvon ralfkannenberg » Mittwoch 9. November 2016, 19:14

Dgoe hat geschrieben:aber wie hat Stoss dann die Position auf den Aufnahmen von 1955 dann finden können. SO ein Zufall...

Hallo Dgoe,

nein, mit Mike's zusätzlichen Daten war das natürlich kein Problem - nun war der Beobachtungsbogen fast 3 Jahre lang und das liefert hinreichend genaue Daten, um die Haumea auf diesen alten Fotoplatten der 1950iger Jahre, auf denen man fast alle Zwergplaneten und grösseren Zwergplanetenkandidaten gefunden hat, wiederzufinden.


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Re: Neuigkeiten aus dem Kuipergürtel (Chiron, Pluto & Co.)

Beitragvon Dgoe » Mittwoch 9. November 2016, 19:35

Hallo Ralf,

wenn es so war, dann hätte das natürlich erwähnt werden sollen. Komisch, dass von Stoss nicht mehr dazu kam bzw. berichtet wird.

Dennoch hätte Ortiz seine Entdeckung auf seinen Aufnahmen noch unabhängig haben können, oder?

Gruß,
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Re: Neuigkeiten aus dem Kuipergürtel (Chiron, Pluto & Co.)

Beitragvon Dgoe » Mittwoch 9. November 2016, 21:49

P.S.: Interessant ist auch, wenn man den spanischen Artikel liest, bzw. zur Not z. B. vom Google Translator übersetzen lässt.
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Re: Neuigkeiten aus dem Kuipergürtel (Chiron, Pluto & Co.)

Beitragvon Dgoe » Mittwoch 9. November 2016, 22:27

Im Endeffekt schließe ich mich diesem Zitat von Mike an:

Mike Brown, 2008 hat geschrieben:[...] As a scientist, my job is to examine the evidence and come up with the most plausible story. Here are some possibilities. It is impossible to disprove this story, claimed by the Spanish team: while looking through two-year-old data, they discovered Santa legitimately, and then, only hours later, accessed information about where our telescopes had been looking and were shocked (shocked!) to realize that the object they had just found was the same object that we had been tracking for months. Wanting to establish priority, they quickly announced, knowing essentially nothing about the object.
Though this story cannot be disproved, it does not have much of an air of plausibility about it. Data that were two years old happened to get analyzed just hours before – whoops! – the team found out that someone else had found the same thing? Hmmmmm. Perhaps most damning, you would think that perhaps the Spanish team would be willing to admit this early on. Instead they appeared to attempt to hide the fact that they ever knew anything about our telescope pointings.
Let’s try a more plausible explanation: the Spanish team found our telescope pointings, used that information to infer the existence of Santa, and assumed that no one would ever know they had not found it legitimately.
No way to prove it, but the later hypothesis certainly sounds more plausible. To be fair, though, I don’t think there is any way to ever know the full extent of the truth, except on the off chance that someone on the Spanish team eventually spills the beans about what really happened. I keep waiting, but I don’t hold my breath.
But wait, there’s more to ask! If the telescope pointings were – even if inadvertently – on a publicly accessible web site, was it wrong to look at them? The obvious answer is that there is nothing wrong with looking at information on any publicly accessible web site, just as there is nothing wrong with looking at books in a library. But the standards of scientific ethics are also clear: any information used from another source must be acknowledged and cited. One is not allowed to go to a library, find out about a discovery in a book, and then claim that discovery as your own with no mention of having read it in a book. One is not even allowed to first make a discovery and then go to the library and realize that someone else independently made the same discovery and then not acknowledge what you learned in the library. Such actions would be considered scientifically dishonesty.
In the end, while we are likely to never know exactly what happened, it appears clear that the Spanish team was either dishonest or fraudulent. [...]


Quelle

Gruß,
Dgoe
Zuletzt geändert von Dgoe am Mittwoch 9. November 2016, 22:52, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Neuigkeiten aus dem Kuipergürtel (Chiron, Pluto & Co.)

Beitragvon ralfkannenberg » Mittwoch 9. November 2016, 22:33

Dgoe hat geschrieben:Komisch, dass von Stoss nicht mehr dazu kam bzw. berichtet wird.

Hallo Dgoe,

da habe ich etwas gefunden: Meeting on Asteroids and Comets in Europe

Da ist Reiner Stoss nicht nur im Zusammenhang mit der Sternwarte in Mallorca, sondern auch mit dem Astronomisches Rechen-Institut in Heidelberg genannt. Gut möglich, dass er deswegen ein Spezialist für solche precovery bilder ist.

Ist er tatsächlich, hier ist noch ein Link, bei dem es um die Varuna und um Hermes geht: Kleinplanetentagung 2005 – Bericht Griesser

Eine Sternstunde der eigenen Art realisierten im Jahre 2000 der damals schon hochaktive Reiner Stoss mit seinem Essener Kollegen André Knöfel: Auf fünf Platten des digitalisierten POSS wiesen die beiden erfahrenen Amateure je eine Spur des später „Varuna“ genannten Asteroiden Nr. 20.000 nach, ein transneptunisches Objekt (TNO). Die vom MPC publizierten Precoveries fanden international große Beachtung und trugen den Namen der Starkenburg-Sternwarte in die ganze Welt hinaus.


Seit 1993 ist Professor Schubart im Ruhestand, verfolgt aber immer noch mit großem Interesse die Entwicklungen in seinen Fachgebieten. Besondere Aufmerksamkeit widmete er über Jahre hinweg und immer wieder dem lange verschollenen Asteroiden „Hermes“. Aufgrund der vorliegenden Positionen aus dem Jahre 1937 rechnete er in Zusammenarbeit mit seinem ARI-Kollegen Dr. Lutz D. Schmadel eine Reihe von Variationsbahnen und bat dann 2001 einen Beobachter im australischen Siding Spring Observatory um eine Nachschau in einem bestimmten Himmelsfeld. Die Suche verlief negativ. Doch als dann im Oktober 2003 „Hermes“ zufällig in den USA wieder gefunden wurde, zeigte eine weitere Kontrolle, dass sich der Asteroid auf den Aufnahmen von 2001 sehr wohl abgezeichnet hatte, und zwar unweit der vorausberechneten Stelle. So bleibt den beiden Heidelberger Wissenschafter heute wenigstens die Genugtuung, dass sie mit ihr Rechnerei durchaus auf der richtigen Spur waren. Bitterkeit über die so knapp verpasste Re-Covery ist beim Referenten jedenfalls keine zurückgeblieben, wohl aber Freude am heute so großen und erfolgreichen Engagement der Amateure gerade auf dem Gebiet der Kleinplaneten. Und dass Professor Schubart an dieser Tagung teilnahm, hat eben auch mit dieser, seiner sehr persönlichen Wertschätzung zu tun.


Und hier noch eine weitere "Daten-Übernahme-Story", weiter unten im Link:
Es war wieder mal der aufmerksame Reiner Stoss, der im Frühherbst 2004 bemerkte, dass das Transneptun-Objekt 2003 UZ117 mit einem beobachteten Bogen von gerade mal 29 Tagen wieder in Opposition geriet. Seine Nachrechung ergab allerdings eine inzwischen auf satte plus / minus 3,2 Winkelgrade aufgelaufene Unsicherheit in der Position – für eine allfällige Re-Covery mit Amateurmitteln bei nur gerade 21.Grösse nicht gerade einladend für Beobachtungsversuche. Doch der adleräugige Reiner fand drei weitere damals unbemerkte Beobachtungen der Station 644 aus dem Jahr 2002 und verlängerte damit den Bahnbogen des 2003 UZ117 auf stolze 345 Tage. So sank dann der Unsicherheitsbogen auf nur mehr gerade 0,3 Bogengrad. Am 18. September 2004 gelang Erich Meyer problemlos mit seinem prächtigen 60cm-Teleskop, trotz der kleinformatigen und älteren ST-6-Kamera in Linz drei aus 11 bis 15 Frames gestackten Aufnahmen mit je drei Minuten Belichtungszeit der erhoffte Volltreffer.

Die drei sauber vermessenen Positionen gingen zur Kontrolle an den ultra-kritischen Reiner Stoss und dann gemeinsam mit den zuvor ermittelten Precoveries ans MPC. Doch merkwürdigerweise publizierte Brian Marsden das damit sofort fällige MPEC erst am übernächsten Tag und zwar mit einer zusätzlichen Beobachtungsstaffel von 246 vom Vorabend. „Daran hatten wir überhaupt keine Freude“, kommentierte Erich Meyer mit diplomatischen Worten diese unerwartete „Ergänzung“ aus Tschechien. Tatsächlich saß aber die Enttäuschung bei unseren beiden Freunden tief. Die Vermutung blieb im Raum stehen, dass das MPC die noch unpublizierten Daten aus Linz und Darmstadt an die Profis von Klenot weitergegeben hatte. Beim Leistungsausweis und der Erfahrung unserer beiden Freunde wirklich nicht gerade die feine Art …


Was ich sagen will: dass sich Ortiz an Stoss wandte dürfte nach vorerigen keine Überraschung sein. Das ist ein Name, den ich mir merken werden :)


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Re: Neuigkeiten aus dem Kuipergürtel (Chiron, Pluto & Co.)

Beitragvon ralfkannenberg » Mittwoch 9. November 2016, 22:59

Dgoe hat geschrieben:Im Endeffekt schließe ich mich diesem Zitat von Mike an:

Mike Brown, 2008 hat geschrieben:[...]

Hallo Dgoe,

das Datum hast Du korrekt zitiert, trotzdem erinnere ich mich u.a. an diesen Satz:


Dgoe hat geschrieben:
Mike Brown, 2008 hat geschrieben:But wait, there’s more to ask! If the telescope pointings were – even if inadvertently – on a publicly accessible web site, was it wrong to look at them? The obvious answer is that there is nothing wrong with looking at information on any publicly accessible web site, just as there is nothing wrong with looking at books in a library.

Das stammt meiner Erinnerung nach aus dem Jahre 2005, dann kam im Jahre 2006 die Degradierung Plutos und die Nicht-Anerkennung der Eris als Planet - es war das dominierende Thema in diesem Jahr. Santa bzw. Haumea waren da nicht mehr so dominante Themen, sieht man von der Entdeckung der beiden Monde und später der Kollisionsgruppe ab.


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