Der Neandertaler hat geschrieben:Liebe Britta.
Es tut mir leid, daß ich Dir in einigen Punkten widersprechen muß.
Es mag sein, daß ich einige alte, typische Denkschemata unserer Zeit widergebe.
Ich kann es mir in der Tat nicht vorstellen, daß ein Unternehmer, durch eine Maßnahme wie "Die Arbeitszeit senken bei vollem Lohnausgleich", daß er dadurch eine Erhöhung seiner Kosten tatenlos hinnehmen würde. Er würde mit Sicherheit einen Ausgleich schaffen, zu schaffen versuchen. Einen Ausgleich zwischen Kostensenkung einerseits, aber so, daß andererseits noch sein Service stimmt. Er würde also Leute entlassen. Was letztendlich zu mehr Arbeitslosigkeit führen würde, aber auch zu vermehrtem Druck, Druck auf die verbliebenen Arbeitnehmer, durch Mehrarbeit.
Es ist in der Tat eine Zwickmühle!
Wer keine Arbeit hat, hat kein Geld und wer kein Geld hat, kann nichts kaufen.
Egal wie 'kostengünstig' der Unternehmer produziert - und nehmen wir mal an, er hat eine vollautomatische Fertigung und alle Unternehmer hätten so eine vollautomatische Fertigung - wer hätte dann noch Arbeit und könnte die tollen, vollautomatisch gefertigten Produkte kaufen? Klar, diese vollautomatischen Unternehmer könnten exportieren, aber nur solange, wie im Ausland noch nicht vollautomatisch gefertigt wird.
Hat jeder Arbeit und jeder Geld, dann kann auch jeder die hergestellten Produkte kaufen.
Die Katze beisst sich in den Schwanz. Man kann natürlich so lange rationalisieren, bis man sich die Frage stellt: Wie rationalisiere ich mich selbst (weg)?
Uns wurde jetzt jahrelang gepredigt, wir sollten Lohnzurückhaltung üben, weil wir sonst gegen die Billiglohnkonkurrenz aus dem Ausland nicht mithalten könnten. In fast jedem Land der Erde wurde das gepredigt, mit der Folge dass es eine Weltwirtschaftskrise gibt. Keiner hat mehr Geld, alle haben nur noch Schulden, dafür haben die Unternehmen jahrelang Rekordgewinne eingefahren. Und jetzt?
Der Neandertaler hat geschrieben:Ich kann mir recht viele Lösungen bzw. Möglichkeiten dazu vorstellen, aber leider haben wir noch die Lösung gefunden, die Lösung, die den Gordischen Knoten durchschlägt, der alles befriedigt. Wer, um aus unserem Dillema zu entkommen, den Stein der Weisen findet, dem gehört ein großes Lob.
Der Stein der Weisen ist bekannt: Geld muß in den Umlauf, muß die Hände wechseln, anstatt auf irgendwelchen Konten gehortet zu werden. Die Geschichte des Geldes gibt es ja nicht erst seit Helmut Kohl.
Der Neandertaler hat geschrieben:Hartz-IV:
Es gibt wenig Diskussionen, denen ich aus dem Weg gehen möchte. Diese ist aber eine solche, sie gehört in diese Kategorie. Nicht, daß darin nicht firm bin - ich glaub schon, daß ich gute Argumente hätte, aber sie ist mir zu emotional aufgeladen, sie wird zu ideologisiert, zu ideologisch, fast unrational geführt.
Ich möchte Dir nur ein Gespräch zwischen mir und einer gute, alten - alt nicht dem Alter nach - Bekannten wiedergeben.
Ich war bei ihr zu Besuch und möchte Dir diese Unterhaltung wahrheitsgemäß und wörtlich wiedergeben - ich bin der Dicke:sie kommt in's Zimmer und zeigt mir ihr T-Shirt. Worauf steht:
Ich möchte Dich nicht hinauswerfen, aber ich muß zu einer Demo.
Du, zu einer Demo? Worum geht es denn?
Um Hartz-IV. Gegen Hartz-IV!"Weg mit Hartz-IV."
auf meine Frage, was wir dann danach machen? Zurück zum alten System? Diese Frage(n) beantwortet sie mit Nachdenken. Ich frage nach:Wieviel bekommst Du denn?
Du hast doch schon vorher von Sozialhilfe gelebt. Wieviel bekamst Du denn vorher?Nachdenken.
345€
Du bezahlst doch alleine schon 310€ Miete. Da bleibt ja nicht mehr viel übrig.
Die Wohnung bezahlt das Amt!Laut §22 SGB2 müssen "Leistungen für Unterkunft und Heizung ... in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht" werden, "soweit diese angemeßen sind."
Angemeßen:Als Orientierung dient das Wohngeldgesetzes (WoGG) - unter Berücksichtigung der am jeweiligen Ort marktüblichen Mieten.
Wohnung:45m² für eine - 60m² für zwei Personen, sowie 15m² für jede weitere Person.
Zu DM-Zeiten, umgerechnet 1250DM.
Ich glaube, es war das einzige Mal, daß ich mit meiner Frau einen längeren, heftigeren Disput hatte. Es war ihre Freundin und sie sprach etwa ein Jahr nicht mehr mit uns. Mittlerweile hat es sich gegeben, wir sind wieder im Gespräch; wir unterstützen sie auch ... genau wie vorher.
Die DM besaß damals mehr Kaufkraft wie der Euro. Durch die Umstellung haben sich die Preise erhöht. Deine Freundin konnte damals mit den 1250DM bestimmt besser leben, wie heute mit Miete und 345 Euro.
Der Neandertaler hat geschrieben:Ich bin genau wie Du der Meinung, daß die gesamten Hartz-Gesetze falsch aufgezogen worden sind, daß damit ein Fehler begangen wurde. Fehler aber nicht daß sie es gibt, sondern, Stichwort:Fordern und Fördern nur, daß es letztlich lediglich beim Fordern blieb
Ich kenne ein paar Menschen, die HartzIV bekamen oder noch bekommen. Jobs gibt es nicht. Die reden zwar alle vom Wirtschaftsaufschwung, aber bei uns in der Gegend stellt kein Unternehmen ein, im Gegenteil - es werden weitere Menschen entlassen.
Einige meiner Bekannten durften auf 'Weiterbildungskurse'. Manch einer hat schon zum dritten Mal denselben Kurs besucht - echt Klasse!
Sie mußten ihre Konten auflösen, ihr Erspartes aufbrauchen, nachweisen dass sie X-Bewerbungen geschrieben haben - völlig sinnlose Bewerbungen, weil eben niemand Leute eingestellt hat. Beschäftigungstherapie? Und jetzt wollen die uns was erzählen von 'Fachkräften aus dem Ausland' reinholen?
Der Neandertaler hat geschrieben:Der Ansatz den Arbeitsmarkt zu entbürokratisieren, ohne großartige Verschlechterungen hervorzubringen, halte ich nach wie vor für richtig.
Den Satz verstehe ich jetzt nicht so ganz.
HartzIV hat nicht nur dazu geführt, dass HartzIV-Empfänger weniger Geld zur Verfügung hatten wie vorher mit Arbeitslosenhilfe, sondern HartzIV hat zu einer Entlassungswelle geführt und zum Outsourcen von Jobs. Dadurch verdienten auch diejenigen, die wieder einen Job gefunden haben, weniger.
Der Neandertaler hat geschrieben:Man wollte zum Beispiel nicht den Kündigunsschutz für alle lockern - hätte zu recht einen großen Aufschrei gegeben, und, die Krise zeigt es, es wäre auch ein fataler Fehler gewesen - diesen Kündigungsschutz wollte man also nicht anrühren, aber vermehrt Arbeitsmöglichkeiten schaffen. Letztendlich blieb so nur:man mußte die Zeit- und Leiharbeit ausbauen.
Man mußte gar nicht, aber man hat. Ich habe früher lange Jahre Zeitarbeit gemacht. Mir hat es gefallen, ständig woanders zu arbeiten und überall mal reinzuschauen. Dabei konnte man früher besser verdienen wie fest angestellt. Heute verdient man weniger. Hatte die Zeitarbeitsfirma keinen Einsatz, so konnte man zuhause bleiben und bekam die Zeit trotzdem normal bezahlt. Heute wird man dann entlassen. Auch hatte man früher 30 Tage Urlaub. Heute geben die nur 20-24 Tage. Früher bekam man auch immer das Angebot, doch in der Firma an die man ausgeliehen war, fest anzufangen - heute nicht mehr.
Der Neandertaler hat geschrieben:Aber was für Arbeitsverhältnisse sollten dies werden, außer den jetzigen, prekären, unterbezahlten?
Ich sehe es in unserer Firma: Zeitarbeitnehmer werden ausgebeutet. Sie verdienen schlechter und sind auch ansonsten schlechter gestellt wie das fest angestellte Personal. In Firmen wo das übertrieben wird, leidet die Qualität und die Quantität der Produkte. Da sind auch 70% Ausschußproduktion schon mal drin. Ein Zeitarbeiter heute fühlt sich ausgebeutet, ist unzufrieden. Wenn dann auch keine Aussicht auf eine Festanstellung ist, wozu dann noch anstrengen? Im produzierenden Gewerbe geht das vielleicht noch, aber in anderen Branchen ist es ein Risiko. Ich denke da gerne an den U-Bahnbau in Köln und an das eingestürzte Stadtarchiv. Mit unzufrieden, unterbezahlten Mitarbeitern oder mit weiterhin so vielen Zeitarbeitskräften, werden wir bald mehr solcher Katastrophen zu ertragen haben. Ist so eine Welt lebenswert für die Menschen?
Der Neandertaler hat geschrieben:Liebste Britta:
Wenn ich, nachdem ich Leistungen aus Steuergeldern bekommen habe, sagen wir mal ... für zwei Jahre, nachdem ich diese bekommen habe und nachdem ich jetzt die Möglichkeit habe, Arbeit zu bekommen, nun aber damit rechnen muß, diese Leistungen - auf die ich ein Grundrecht habe - daß ich diese zurückzahlen muß, sobald ich über den Satz kommme (derzeit, glaube ich: 660€), würde ich mir auch einiges anders überlegen.
Ja, unsere Politiker machen oftmal Dinge ohne darüber nachzudenken. Das meinte ich aber nicht damit. Mir ging es um die ganz großen Abzocker.
Der Neandertaler hat geschrieben:Allerliebste Britta:
Du gibst ja auch zum Teil meine Meinung wieder, der Tenor: Wir müssen andere besser stellen, "reicher" machen, bezieht sich aber eher auf die, die, zumindest kurzfrsitig besser gestellt werden können, in erster Linie darum, daß sie damit letztlich in der Lage sind, unsere, teureren Produkte zu kaufen, denn ohne Wachstum ist nach heutiger Denk- und Handlungsweise wenig drin ... für uns und unsere Sozialsysteme. Ich weiß:
es sind wieder die alten, typischen Denkschemata und ich weiß auch, daß diese Systeme nicht mehr sozial sind. OK!
Aber das "wir brauchen Armut, damit es uns hierzulande gut geht, damit es uns besser als anderen. Armut: der Anderen." ist falsch, die falsche Denkrichtung. Ist aber leider die Ralität!
Damit wir uns hierzulande ein T-Shirt etwa für 5€ kaufen können, muß es Armut geben; jemand muß in Armutsländern bereit sein, diese T-Shirt für einen Hungerlohn zu produzieren, zu nähen.
Och, weißt du Neandertaler: Ich kann mich noch an die Zeit erinnern, als Bekleidung noch bei uns in Deutschland hergestellt wurde. Meine Nachbarin z.B. war Schneiderin und ein paar Häuser weiter hatten wir eine kleine Boutique, da wurde auch noch selbst genäht und 2 Straßen weiter stand ein großer Betrieb, der an die 20 Schneiderinnen beschäftigte - alles Arbeitsplätze, die verloren gingen weil's ja woanders billiger ist.
Die Bekleidung war damals auch viel schöner/individueller und viele Frauen verdienten mit diesem Beruf ihr Geld. Trotzdem es hier in Deutschland ja so teuer war, konnten wir uns damals die hier hergestellte Bekleidung trotzdem leisten und nagten wegen Bekleidungskaufes nicht am Hungertuch. Wir hatten immer genug zum Leben. Man wußte damals auch ein paar teure Schuhe oder ein besonders teures Stück noch zu schätzen und passte besser drauf auf. Meine Mutter sparte als junges Mädchen lange für ein teureres Kleid. Es ging uns damals auch finanziell wirklich besser - trotz der 'teuren Herstellungskosten'. Mag sein, dass T-Shirts aus China billiger sind, aber unterm Strich haben wir viel mehr verloren, wie wir durch die Billigbekleidung je sparen können.
Das Einkommen der Schneiderinnen fehlt auch im Durchschnittseinkommen der Bevölkerung. Dazu kommt, dass die Bekleidung heute um die halbe Erde reisen muß und somit die Umwelt belastet. Dafür aber verdienen die Näherinnen in China bie 9 Stunden Arbeit 6 Tage die Woche nicht genug um davon leben zu können und müssen unter unerträglichen Arbeitsbedingungen leiden und wir zahlen lieber HartzIV an potentielle Schneiderinnen, weils in China halt billiger ist.
Auf diese Armut kann ich gerne verzichten. Sie macht ein paar Textilketten reich und der Rest der Menschen sowie die Natur hat nur Verlust.
Was ist der Sinn des Lebens für 99% der Weltbevölkerung? Möglichst billig und lange zu Arbeiten, damit Andere leben können?