Mengenlehre und (abzählbare,überabzählbare) Unendlichkeiten

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Mengenlehre und (abzählbare,überabzählbare) Unendlichkeiten

Beitragvon M.S » Montag 3. Oktober 2016, 16:36

Hallo Ralf,

Nehmen wir mal eine simple Menge:

M = {13,"rosa",-1,"baustein"}
Diese Menge hat 4 Elemente, also nach meinem Verständnis die Mächtigkeit 4 - korrekt?

Wenn ich nun die Differenzmenge von M und der Menge {"rosa"} bilde, so erhalte ich:
M1 = {13,-1, "baustein"}
Diese Menge hat 3 Elemente, also die Mächtigkeit 3 - korrekt?

Mein Problem beginnt nun mit der Leermenge {}.
Die Leermenge ist doch per Definition eine Teilmenge aller Mengen.

Wenn ich nun die Differenzmenge von M (die die Leermenge implizit enthält) und der Leermenge selbst {} bilde, enthält die neue Menge M' auch per Definition die Leermenge, obwohl ich die Leermenge rausgenommen habe.

Warum ist das so?
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Re: Mengenlehre und (abzählbare,überabzählbare) Unendlichkei

Beitragvon ralfkannenberg » Montag 3. Oktober 2016, 17:45

Hallo M.S !

M.S hat geschrieben:Nehmen wir mal eine simple Menge:

M = {13,"rosa",-1,"baustein"}
Diese Menge hat 4 Elemente, also nach meinem Verständnis die Mächtigkeit 4 - korrekt?

Das ist korrekt.


M.S hat geschrieben:Wenn ich nun die Differenzmenge von M und der Menge {"rosa"} bilde, so erhalte ich:
M1 = {13,-1, "baustein"}
Diese Menge hat 3 Elemente, also die Mächtigkeit 3 - korrekt?

Das ist korrekt.

M.S hat geschrieben:Mein Problem beginnt nun mit der Leermenge {}.
Die Leermenge ist doch per Definition eine Teilmenge aller Mengen.

Das ist korrekt.


M.S hat geschrieben:Wenn ich nun die Differenzmenge von M (die die Leermenge implizit enthält) und der Leermenge selbst {} bilde, enthält die neue Menge M' auch per Definition die Leermenge, obwohl ich die Leermenge rausgenommen habe.

Warum ist das so?

Guter Punkt. Ich halte absichtlich Deine Frage zurück und konstruiere Dir statt dessen im nächsten Beitrag die natürlichen Zahlen mit Hilfe der leeren Menge. Ich nehme an, dass diese Konstruktion ganz nebenbei Deine Frage beantwortet.


Freundliche Grüsse, Ralf
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Re: Mengenlehre und (abzählbare,überabzählbare) Unendlichkei

Beitragvon ralfkannenberg » Montag 3. Oktober 2016, 18:03

Hallo zusammen,

wollen wir also einmal die natürlichen Zahlen anders als mit Hilfe der Peano-Axiome konstruieren, wobei man aber zeigen kann, dass beide "Methoden" äquivalent sind.

Es gibt Mengen, die sind "ausgezeichnet", sind also ganz besondere Mengen, und eine solche Menge ist die leere Menge.


1.Schritt:
Im 1.Schritt betrachten wir nun also die leere Menge, also {}


2.Schritt:
Im 2.Schritt nehmen wir noch eine weitere Menge hinzu, nämlich die Menge, welche die leere Menge als Element enthält. Wir betrachten nun also zwei Mengen, nämlich die leere Menge {} und die Menge, die die leere Menge enthält, also { {} }. Diese beiden Mengen sind verschieden, denn die erste Menge enthält kein Element, den sie ist ja die leere Menge, und die zweite Menge enthält ein Element, nämlich die leere Menge.


3.Schritt:
Im 3.Schritt nehmen wir noch eine weitere Menge hinzu, nämlich die Menge, welche beide Mengen vom 2.Schritt enthält, nämlich die leere Menge und die Menge, die die leere Menge enthält: { {}, { {} } }

Nun haben wir also bis zum 3.Schritt 3 Mengen konstruiert:

- die leere Menge, also {}
- die Menge, die die leere Menge enthält, also { {} }
- die Menge, die die leere Menge und die Menge, die die leere Menge enthält, enthält: { {}, { {} } }


So kann man beliebig weiter machen.


Wir sehen, dass die (n+1).-te Menge gerade all die Mengen enthält, die wir bis zum n.-ten Schritt konstruiert haben; das entspricht dem Induktionsprinzip.


Und der "Start" mit der leeren Menge entspricht der Induktions-Verankerung. - Induktionsverankerung und Induktionsprinzip - damit sind wir bei den Peano-Axiomen.


Nun kann man eine Bijektion aller dieser Mengen auf die Nummer des Schrittes, in welchem sie konstruiert wurde, definieren; diese Abbildung ist gerade eine Abbildung auf die Anzahl Elemente + 1. Somit haben wir eine Bijektion auf die natürlichen Zahlen konstruiert.


Der 2.Schritt beantwortet insbesondere die Frage von M.S .


Freundliche Grüsse, Ralf
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Re: Mengenlehre und (abzählbare,überabzählbare) Unendlichkei

Beitragvon ralfkannenberg » Mittwoch 5. Oktober 2016, 17:41

M.S hat geschrieben:Die Leermenge ist doch per Definition eine Teilmenge aller Mengen.

Hallo M.S,

somit beantworte ich Deine Frage wie folgt: die leere Menge ist zwar eine Teilmenge aller Mengen, aber nicht ein Element jeder Menge.

Insbsondere sind die leere Menge und die Menge, die die leere Menge enthält - also die beiden Mengen, die bei der Konstruktion dem Startelement 1 und der Zahl 1'=2 entsprechen, verschiedene Mengen.

M.S hat geschrieben:Wenn ich nun die Differenzmenge von M (die die Leermenge implizit enthält) und der Leermenge selbst {} bilde, enthält die neue Menge M' auch per Definition die Leermenge, obwohl ich die Leermenge rausgenommen habe.

Wenn Du also von der Menge, die die leere Menge als Element enthält, diese leere Menge wieder herausnimmst, verbleibt die leere Menge. Das ist ja der "inverse Prozess" vom Bilden der Menge, die die leere Menge enthält, aus der leeren Menge, oder in den Worten der Peano-Axiome, die Bildung des Nachfolgers vom Startelement 1, also 1' = 2.

Der "inverse Prozess" ist die Bildung des Vorgängers, und trivialerweise gilt predecessor(2) = predecessor(1') = predecessor(successor(1)) = 1.
Wenn Du indes von einer beliebigen Menge eine Menge mit 0 Elementen "wegnimmst", so ändert sich ja nichts an der Elementezahl, d.h. die Menge bleibt gleich. Andernfalls könntest Du ja aus der leeren Menge die leere Menge "herausnehmen", was natürlich nicht geht, weil es in der leeren Menge nichts gibt, was man herausnehmen könnte.


Freundliche Grüsse, Ralf
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Re: Mengenlehre und (abzählbare,überabzählbare) Unendlichkei

Beitragvon M.S » Mittwoch 5. Oktober 2016, 19:40

Ok, ich habe es kapiert - Die Leermenge ist nun aus meiner Sicht abgehakt.

Kommen wir nun zu meiner zweiter Frage.

Jede Menge hat eine Mächtigkeit (nämlich die Anzahl ihrer Elemente) - korrekt?
Jede Menge ist abzählbar - korrekt ?

Ergo dessen ist die Menge der natürlichen Zahlen abzählbar.
Kann ich das so sagen oder muss ich sagen: die Menge der natürlichen Zahlen ist abzählbar unendlich?

Meine Problem beginnt mit der Gleichmächtigkeit gewisser Mengen.
Die Menge der natürlichen Zahlen ist gleichmächtig wie die Menge der Primzahlen - korrekt?

Wenn ja, wie kann das sein. Ich verstehe schon, dass ich zwischen diesen beiden Mengen eine Bijektion herstellen kann. Aber, da die Primzahlen ja immer seltener auftreten, müsste doch deren Mächtigkeit kleiner als die der natürlichen Zahlen sein.

Oder mal konkret: Ist die Mächtigkeit der Menge der natürlichen Zahlen ein Wert? Kann ich mit dem rechnen?
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Re: Mengenlehre und (abzählbare,überabzählbare) Unendlichkei

Beitragvon ralfkannenberg » Mittwoch 5. Oktober 2016, 23:36

Hallo M.S !
M.S hat geschrieben:Jede Menge hat eine Mächtigkeit (nämlich die Anzahl ihrer Elemente) - korrekt?

Nein, das gilt nur für endliche Mengen.

M.S hat geschrieben:Jede Menge ist abzählbar - korrekt ?

Nein: aus dem Cantor'schen Diagonalbeweis folgt, dass die Menge der reellen Zahlen zwischen 0 und 1 überabzählbar unendlich ist.

M.S hat geschrieben:Ergo dessen ist die Menge der natürlichen Zahlen abzählbar.

Nein, dass die natürlichen Zahlen abzählbar unendlich sind ist lediglich eine Definition.
Diese lautet: eine Menge, zu der es mindestens eine Bijektion in die natürlichen Zahlen gibt, heisst "abzählbar unendlich". Meistens kürzt man die Wortwahl "abzählbar unendlich" zu "abzählbar" ab, obgleich endliche Mengen im umgangssprachlichen Sinne ja ebenfalls "abzählbar" sind.

M.S hat geschrieben:Kann ich das so sagen oder muss ich sagen: die Menge der natürlichen Zahlen ist abzählbar unendlich?

Wie gesagt: das ist lediglich eine Definition.

M.S hat geschrieben:Meine Problem beginnt mit der Gleichmächtigkeit gewisser Mengen.

Das ist ganz normal und am Anfang sehr gewöhnungsbedürftig.

M.S hat geschrieben:Die Menge der natürlichen Zahlen ist gleichmächtig wie die Menge der Primzahlen - korrekt?

Das ist korrekt.

M.S hat geschrieben:Wenn ja, wie kann das sein. Ich verstehe schon, dass ich zwischen diesen beiden Mengen eine Bijektion herstellen kann. Aber, da die Primzahlen ja immer seltener auftreten, müsste doch deren Mächtigkeit kleiner als die der natürlichen Zahlen sein.

Warum ? Du kannst die Primzahlen doch durchnummerieren. Dann bekommt jede Primzahl also eine Nummer. Da jede Primzahl endlich ist, gibt es nur endlich viele Primzahlen kleiner als diese Primzahl, d.h. im "ungünstigsten" Fall ist diese Nummer gleich dem Absolutbetrag dieser Primzahl und der ist wie gesagt endlich.

Deine Intuition lässt Dich deswegen im Stich, weil Du das Argument der starken Ausdünnung der Primzahlen primär siehst. Aber es ist so, dass das Reservoir der Primzahlen riesig gross ist, nämlich unendlich gross. Das heisst, wenn Du für die nächste Nummer noch eine brauchst, so kannst Du eine aus dem unendlich grossen Reservoir herausnehmen.

M.S hat geschrieben:Oder mal konkret: Ist die Mächtigkeit der Menge der natürlichen Zahlen ein Wert? Kann ich mit dem rechnen?

Ja und nein. Ich sage nein, jedenfalls nicht im Rahmen eines algebraischen Körpers (englisch: "field"), in dem die 4 Grundrechenarten gelten und bei dem man beweisen kann, dass der Hauptssatz der Algebra gültig ist.

Man kann aber Kardinalzahlen definieren und mit denen herumrechnen. Es gibt Logiker, die das tun, aber ich bin nur Mathematiker und halte mich da an die Algebra.

Im Übrigen ist mit den Axiomen der Mengenlehre nicht entscheidbar, ob es eine Kardinalzahl zwischen der Mächtigkeit der natürlichen Zahlen und der Mächtigkeit der reellen Zahlen gibt (Kontinuumhypothese).

Wie auch immer, mein Ratschlag: lass das weg. Selbst ich kam in meinem Studium ohne Kardinalzahlen aus und in den meisten mathematischen Disziplinen kann man auch promovieren, ohne sich mit Kardinalzahlen beschäftigen zu müssen.

Es genügt völlig zu wissen, dass es eine Mächtigkeit für die natürlichen Zahlen gibt sowie mindestens eine "grössere" Mächtigkeit. Wie diese grösseren Mächtigkeiten, also die "Überabzählbarkeiten" aufgebaut oder strukturiert sind, ist indes ausschliesslich etwas für Leute, die auch diesem Gebiet spezialisiert sind. Was wir aber wissen ist, dass die Menge der Punkte auf einer Geraden überabzählbar ist. Naiverweise weist man diese Menge den reellen Zahlen zu, aber die reellen Zahlen sauber axiomatisch zu definieren ist gar nicht so trivial (Stichwort: "Dedekind'sche Schnitte"). Aber auch hier kann man sich zunutze machen, dass die rationalen Zahlen "dicht" sind, d.h. zwischen zwei rationalen Zahlen sich stets eine weitere rationale Zahl befindet (z.B. ihr Mittelwert). Das ist nicht ganz richtig, aber für den Moment genügend; streng genommen ist eine Menge dicht in einer anderen Menge, also konkret sind die rationalen Zahlen dicht in der Menge der reellen Zahlen. Das hat dann zur Folge, dass man jede reelle Zahl als konvergente Folge von rationalen Zahlen darstellen kann, d.h. man kann "anschaulich" die reellen Zahlen so definieren, dass sie die rationalen Zahlen sind, zu denen man alle konvergenten Grenzwerte rationaler Folgen dazugefügt hat. Dieses Hinzufügen der konvergenten Grenzwerte nennt man auch "Vervollständigen" und man kann zeigen, dass diese Definition äquivalent zur Definition der Dedekind'schen Schnitte ist.


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