Dgoe hat geschrieben:http://web.maths.unsw.edu.au/~norman/papers/SetTheory.pdf (PDF, Engl.; von N. J. Wildberger überraschenderweise, den ich aus Online-Mathematik-Vorlesungen schon kenne).
Hallo Dgoe,
die Sache mit den reellen Zahlen, die er für einen "Witz" hält, ist eigentlich wenig interessant.
Gehen wir deswegen nur kurz durch dieses Geschreibsel durch:
Die Seite 10 bis ins untere Drittel ist ja noch ok, das kennt man alles vom 1.Semester, aber dann:
But here is a very important point: we are not obliged, in modern mathematics, to actually have a rule or algorithm that specifies the sequence r1, r2, r3, ··· . In other words, ‘arbitrary’ sequences are allowed, as long as they have the Cauchy convergence property. This removes the obligation to specify concretely the objects which you are talking about. Sequences generated by algorithms can be specified by those algorithms, but what possibly could it mean to discuss a ‘sequence’ which is not generated by such a finite rule? Such an object would contain an ‘infinite amount’ of information, and there are no concrete examples of such things in the known universe. This is metaphysics masquerading as mathematics.
Wenn er wirklich so ein grosser Mathematiker ist wie er vorgibt, dann sollte er wissen, dass es sich bei der Infinitesimalrechnung um Existenzbeweise handelt. Es
gibt diese Zahlen, auch dann, wenn er sich auf den Standpunkt (=geistiger Horizont mit Radius 0) begibt, dass eine Zahl nur dann existiert, wenn man sie konkret konstruieren kann. Nicht notwendigerweise mit Zirkel und Lineal und Einheitsmaßstab, eine solche Forderung sehe ich bei ihm nicht, aber doch "irgendwie" konstruierbar.
Das aber ist weder das Wesen des Kontinuums oder gleichbedeutend der Gerade, noch der Stetigkeit. Stillschweigende Zusatzpostulate aufzustellen, wie Wildberger das unauffällig tut, und das Konstrukt dann als absolute Wahrheit zu verkaufen, bringt da ausser Verwirrung nichts. Und insbesondere sind Cauchy-Folgen, Gerade und Stetigkeit keine als Mathematik getarnte Metaphysik, sondern elementare Konzepte, deren Verständnis wenigstens dem Sinn nach bereits von Gymnasiasten erwartet werden, wenngleich auch nicht in voller Strenge.
Seine Ausführungen auf Seite 11 sind geradezu peinlich, vor allem die Art, wie er die Leserschaft in die Irre zu führen versucht: selbstverständlich ist die angegebene Folge konstant und konvergiert entsprechend gegen die schon rationale Zahl 2/3. Kein seriöser Mathematiker würde auf die Idee kommen, seiner Leserschaft eine konstante Folge vorzugaukeln, um sie dann "am hinteren Ende" ganz woanders hinkonvergieren zu lassen. Es ist trivial, dass der Grenzwert einer Cauchy-Folge nicht von seinen ersten endlich vielen Folgengliedern abhängt, d.h. wenn man am Ende so eine Folge ganz woanders hinkonvergieren lassen möchte braucht man sich gar nicht die Mühe zu machen, die Folge pseudo zu definieren. Wenn man die ersten n Folgenglieder explizit angibt, dann steckt da eine Regel drin, aus der man die übrigen ebenfalls herleiten kann.
Selbstverständlich ist niemand verpflichtet, sich an diese Konvention zu halten, aber wenn man sich nicht daranhält, dann steckt entweder Unvermögen oder nachweislich böse Absicht dahinter. Beides gehört nicht in einen Artikel !
So now what is a real number? It is an equivalence class of Cauchy sequences!
That’s right, not just one, not just two, but an entire equivalence class of them. We can’t even list the elements of such a ‘class’, since each and every one of them contains an ‘uncountable’ number of Cauchy sequences. So of course we have already absorbed the ‘infinite set theory’ to make sense of these statements, and we still ought to ‘explain’ the equivalence relation.
Auch wenn er versucht, das ins Lächerliche zu ziehen, so ändert das nichts daran, dass man reelle Zahlen als Äquivalenzklassen von Cauchy Folgen darstellen kann. Und wenn einem das nicht passt - wofür es übrgens gute und ehrenwerte Gründe geben mag, dann nutzt man Dedekindsche Schnitte; die sind zwar ohne nähere Erläuterung nichts für Anfänger, aber sie haben den Vorteil, dass sie dieses Unendlichkeits-Problem so nicht haben. Die erste Fassung des Cantorschen Diagonalbeweises setzt übrigens auf solche Dedekindschen Schnitte auf ! - Aber nach diesen Dedekindschen Schnitten sucht man bei Wildberger ja vergebens !
Now that you are comfortable with the definition of real numbers,
Sein Spott ist nur noch peinlich.
perhaps you would like to know how to do arithmetic with them? How to add them, and multiply them? And perhaps you might want to check that once you have defined these operations, they obey the properties you would like, such as associativity etc. Well, all I can say is–good luck. If you write this all down coherently, you will certainly be the first to have done so. On top of the manifold ugliness and complexity of the situation, you will be continually dogged by the difficulty that in all these sequences there does not have to be a pattern–they are allowed to be completely ‘arbitrary’.
Einerseits gibt er vor, sich für die Verständlichkeit einzusetzen und dann prangert er elementare Beweise aus dem ersten Semester an, wegen derer noch kein seriöser Student durch irgendeine Prüfung gefallen ist. Und wenn er mit den reellen Zahlen so heillos überfordert ist, wie er vorzugeben versucht (und was ich ihm nicht glaube !), dann nimmt er eben nur rationalen Zahlen, nutzt ihre Dichtheit in den reellen Zahlen, d.h. dass man jede reelle Zahl beliebig genau durch rationale Zahlen annähern kann, legt da ein epsilon und die Dreieckungleichung drüber und fertig ist der Beweis !
Even a simple statement like 1+1=2 will cause you consternation, since you have to phrase everything in terms of unending Cauchy sequences, and in the absence of solid conventions for specifying infinite sequences, you will wrestle with the question of whether the Cauchy sequence [1, 1, 1, ··· ] really does represent 1, or perhaps just appears to from this end of things.
Solange man nicht in böser Absicht falsche Anfangs-Glieder benennt, sondern die Folge konstant ist, folgt das ziemlich direkt, wobei es noch viel direkter folgt, denn 1+1=2 gilt bereits in den natürlichen Zahlen, und jede natürliche Zahl ist eine reelle Zahl.
Noch ein Wort zur angeblich fehlenden Konstruierbarkeit. Tatsächlich ist eine reelle Zahl zunächst einmal nur drch ihre Existenz, z.B. auf dem Zahlenstrahl, also einer Gerade, definiert.
Man kann diese dann aber beliebig genau mit rationalen Zahlen annähern, und das ist gar nicht so schwer, sondern sogar ziemlich tirvial; man macht das nämlich so wie ein kleines Kind, das noch nie etwas von Mathematik gehört hat, das naiverweise tun würde.
Nehmen wir die Zahl pi als Beispiel, die lautet ja ungefähr 3.141592653589...
Und dann gilt für die beiden Cauchy-Folgen, die die Zahl pi von unten und von oben annähern sollen:
3 < pi < 4
3.1 < pi < 3.2
3.14 < pi < 3.15
3.141 < pi < 3.142
3.1415 < pi < 3.1416
3.14159 < pi < 3.14160
3.141592 < pi < 3.141593
3.1415926 < pi < 3.1415927
3.14159265 < pi < 3.14159266
3.141592653 < pi < 3.141592654
3.1415926535 < pi < 3.1415926536
3.14159265358 < pi < 3.14159265359
3.141592653589 < pi < 3.141592653590
u.s.w.
Das sind alles rationale Zahlen und beide Folgen konvergieren gegen pi.
Und das kann man für jeden Punkt der Zahlengerade und somit für jede reelle Zahl machen.
Natürlich: man kennt die Kommastellen nicht, aber das hat nicht zur Folge, dass es diese Zahl nicht gibt. Ich war noch nie in Mexiko, aber das heisst nicht, dass es Mexiko nicht gibt ! Und es gibt zahlreiche Planeten um ferne Sterne oder Planetoiden in unserem Sonnensystem, die noch nicht entdeckt worden sind, Trotzdem gibt es sie, es ist nicht so, dass sie erst entdeckt werden müssen und dann zu existieren anfangen ! Ja das wäre sogar ein Paradox, denn wenn sie erst nach ihrer Entdeckung zu existieren anfangen würden könnte man sie gar nicht entdecken, weil sie dann zum Zeitpunkt iher Entdeckung ja noch gar nicht existieren.
Auf der Seite 11 macht er dann einen Abstecher in die Computer-Mathematik; wenn man die Polemik ignoriert sieht das soweit ok aus.
Freundliche Grüsse, Ralf