Paritäts-Verletzung und Mirror-Materie

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Paritäts-Verletzung und Mirror-Materie

Beitragvon ralfkannenberg » Donnerstag 21. Juni 2012, 12:26

Hallo zusammen,

ein Artikel über Neutronen in einer Spiegelwelt dürfte für die meisten von Euch neu sein. Deswegen hier eine kurze Einführung in diese Thematik.

Die meisten von Euch werden wissen, dass in der Physik der Energieerhaltungssatz gilt und ein sehr grundlegendes Prinzip der Physik darstellt. Stichwort: es gibt kein Perpetuum Mobile.

Vermutlich wissen die meisten von Euch auch, dass der Energieerhaltungssatz noch zwei "Geschwister" hat, nämlich den Impulserhaltungssatz – den kennt man z.B. von den in einer Reihe hängenden sich berührenden Metallkugeln, von denen man die erste anstupft und als Folge davon die letzte der Reihe den Impuls nimmt und ausschlägt, sowie den Drehimpulserhaltungssatz, den man von der Eisläuferin, die ihre Arme anzieht und sich dann schneller dreht, kennt. Zwei weitere bekannte Erhaltungsgrössen sind die Ladungserhaltung und die Erhaltung der Leptonenzahl, also die Anzahl der Elektronen & Co. und Neutrinos & Co., wobei Antiteilchen negativ zählen. Beim Beta-Zerfall beispielsweise zerfällt ein Neutron in ein Proton und ein Elektron, aber nein – dann wäre ja die Leptonenzahl nicht erhalten; es entsteht also auch noch ein elektronisches Anti-Neutrino.

Heikler ist die sechste Erhaltungsgrösse, das ist die Baryonenzahl, also die Anzahl der Quarks; moderne Theorien gehen davon aus, dass das Proton mit einer Halbwertszeit von rund 10**32 Jahren zerfällt; man beachte, dass das bisherige Alter des Universums bei 10**17 Sekunden liegt. Letztlich würde also - wenn das stimmt - spätestens in diesen riesigen Zeiträumen unsere wohlvertraute atomare Struktur zusammenbrechen.

Neben den Erhaltungsgrössen gibt es auch Symmetrien, von denen die theoretischen Physiker überzeugt sind, dass sie gültig sind, und das sind:

1. die Symmetrie C ("Charge", also Ladung): werden die Vorzeichen aller Ladungen eines Systems umgedreht, so ändert sich dessen Verhalten nicht.

2. die Symmetrie P ("Parität"): wird ein System räumlich gespiegelt, ändert sich sein physikalisches Verhalten nicht.

3. die Zeitumkehr T ("Time"): ein System verhielte sich genauso, wenn die Zeit rückwärts abliefe.

Nun ist es leider so, dass sich die Natur, so wie wir sie sehen, nicht an diese Symmetrien hält und das ist an sich bis heute unverstanden. So wird die Parität beispielsweise durch die schwache Wechselwirkung verletzt. Auch der Umstand, dass es mehr Materie als Antimaterie gibt, ist eine Folge der Symmetriebrechung.

Nun ist es aber so, dass diese Symmetrieverletzungen aus Sicht der Theorie nicht schön sind und man sucht deswegen nach eleganten Methoden, dank derer man die Symmetriebrechung umgehen kann. Und um die Parität nicht zu verletzen gibt es theoretische Ansätze, die "Mirror Matter" vorsieht, d.h. zu jedem Teilchen gibt es ein gespiegeltes Teilchen. Da diese nach wie vor Masse haben, ist es dann natürlich naheliegend, anzunehmen, dass es "Mirror Sterne" und "Mirror Planeten" geben könnte, die einen Beitrag zur Dunklen Materie leisten könnten, da man diese ja so ohne weiteres nicht “sieht“, sondern primär nur anhand ihrer Schwerkraft bemerken kann.

Hier je eine Publikation zu diesem Thema aus dem Jahre 1999: "Have mirror stars been observed?" (R.Foot) - man beachte auch weiterführende Publikationen auf Seite 4, sowie "Have mirror planets been observed?" (R. Foot)


Bei dem von Yukterez genannten Experiment hat man in sehr kleinen Skalen nach Mirror Materie gesucht, konkret sind da einige Neutronen verschwunden und die Idee ist, dass sich diese vorübergehend in ihre Mirror-Partner umgewandelt haben könnten.


Freundliche Grüsse, Ralf
Zuletzt geändert von ralfkannenberg am Donnerstag 21. Juni 2012, 14:18, insgesamt 1-mal geändert.
Grund: falschen Link bei ]"Have mirror planets been observed?" korrigiert
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Re: Paritäts-Verletzung und Mirror-Materie

Beitragvon ralfkannenberg » Donnerstag 21. Juni 2012, 13:46

Hallo zusammen,

ehe Ihr Euch für diese Mirror-Idee begeistert - die meisten Ansätze benötigen eine 5.Kraft, die da in manchen Artikeln elegant mit "mirror bosons" umschrieben wird.


Freundliche Grüsse, Ralf
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Re: Paritäts-Verletzung und Mirror-Materie

Beitragvon Uli » Donnerstag 21. Juni 2012, 16:36

Hallo Ralf,

das mit der Mirror-Materie ist ja interessante Spekulationen, die ich noch gar nicht kannte:

aus der Eichgruppe des Standardmodells
Gsm = SU(3)xSU(2)xU(1)

wird G = Gsm x Gsm

Die Grundlagen dieser Spekulation findet man z.B. hier ein bisschen:
Mirror matter-type dark matter

d.h., alles - samt der Eichbosonen - wird dupliziert: 2 Welten, die sich geisterhaft komplett durchdringen und sich gegenseitig nur via Schwerkraft wahrnehmen, da jede Welt ihren eigenen Satz von Eichbosonen, so auch ihr eigenes Photon hat, das mit der rivalisierenden Welt erst gar nicht wechselwirkt. :)

... ein tolles Szenario für Science-Fiction-Romane: wie kommuniziert man mit den Aliens der Spiegelwelt? Geht wohl höchstens über Gravitationswellen. :)

Aber es ist natürlich legal zu spekulieren, solange es Übereinstimmung mit allen Beobachtungen gibt.

Die Supersymmetriker setzen ja ähnlich auf die Dunkle Materie und werten sie als Stütze ihres Modells, habe mit Dan Hooper - ein sehr netter und kommunikativer Crack aus USA - vor einiger Zeit mal ein bisschen per Email geschwatzt; da hatte ich noch gar nicht geschnallt, dass er einer der führenden Forscher auf diesem Gebiet ist (sonst hätte ich mich vielleicht gar nicht getraut, ihn mit meinen Fragen zu belästigen):

Supersymmetric Dark Matter...

Hier wird davon ausgegangen, dass DM großteils aus Neutralinos besteht, den leichtesten stabilen Teilchen der supersymmetrischen Materie (supersymmetrische Partner der Eichbosonen). Diese Spekulation hat aus meiner Sicht doch den Vorteil, dass sie sich auf "natürliche Weise" aus einer vereinheitlichten Theorie ergibt, während obige Verdopplung der Welt vielleicht doch nicht so gut motiviert erscheint ... aber was weiss ich schon!

Gruss,
Uli
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Re: Paritäts-Verletzung und Mirror-Materie

Beitragvon ralfkannenberg » Donnerstag 21. Juni 2012, 16:44

Hallo Uli,

ich persönlich bevorzuge Modelle, bei denen eine Vereinheitlichung angestrebt wird, wie dies bei der Supersymmetrie der Fall ist, die für manche Grand Unified Theories verwendet wird. Dass dabei der leichteste supersymmetrische Partner, also das Neutralino, aufgrund seiner Stabilität als elementarer Bauteil der Dunklen Materie in Frage kommt ist natürlich ein schöner Nebeneffekt.

Zwar sind Symmetriebrüche auch nicht gerade schön, aber eben - bei 5.Kräften pflege ich, mich in Zurückhaltung zu üben.

Zudem sollte es ja auch ein paar Mirror-Körper in unserem Sonnensystem geben - in etwa gleichviele wie Matter-Körper, während die derzeitigen Planeten-, Monde- und Raumsondenbahnen ja meines Wissens nicht gerade auf sowas hindeuten.


Freundliche Grüsse, Ralf
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Re: Paritäts-Verletzung und Mirror-Materie

Beitragvon ralfkannenberg » Donnerstag 21. Juni 2012, 16:53

Auch sollte es in etwa gleichviele Doppelsternsysteme geben, bei denen ein Partner aus Mirror-Materie besteht, so dass es viel mehr spektroskopische Doppelsterne geben müsste, insbesondere solche, bei denen der Partnerstern schwerer ist. Ok, diese stehend dann natürlich in "Konkurrenz" zu Weissen Zwergen, Neutronensternen und allenfalls Schwarzen Löchern, wobei man Weisse Zwerge wohl aufgrund ihrer Maximalmasse von 1.44 Sonnenmassen vernachlässigen kann, indem man sich auf solche beschränkt, deren unsichtbarer Partner eben mehr als 1.44 Sonnenmassen aufweist.

Und so viele massereiche Sterne, die sich zu Neutronensternen oder Schwarzen Löchern weiterentwickeln können, gibt es ja nun auch wieder nicht. Man müsste also statistisch den Massebereich abklappern, bei dem Weisse Zwerg-Partner einen erheblichen Teil ihrer Ursprungsmasse abgestossen haben, also solche zwischen 1.44 und ungefähr 8 Sonnenmassen - hier müsste es wenn es Mirror Materie gibt mehr geben als die derzeitigen Sternentstehungsmodelle vorhersagen.


Freundliche Grüsse, Ralf
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Re: Paritäts-Verletzung und Mirror-Materie

Beitragvon nocheinPoet » Donnerstag 21. Juni 2012, 17:10

Hier mal ein Artikel auf Deutsch: http://sciencev1.orf.at/science/news/61987 dass mit dem Krater auf Eros ist interessant:

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- So hoch der Geist, der uns erhebt, Es wankt der Grund, auf dem er steht.
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Re: Paritäts-Verletzung und Mirror-Materie

Beitragvon ralfkannenberg » Donnerstag 21. Juni 2012, 18:21

nocheinPoet hat geschrieben:Hier mal ein Artikel auf Deutsch: http://sciencev1.orf.at/science/news/61987 dass mit dem Krater auf Eros ist interessant:

Bild

Hallo Manuel,

ich bin ja kein Spezialist, aber irgendwie überzeugt mich der Krater auf Eros nicht. Das ganze läuft ähnlich wie beim LHC-Widerstand, wo man auch jeden Mist und vor allem jeden Fehlerbalken als "mögliche Bestätigung" ihrer Thesen verwendet hat.


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Re: Paritäts-Verletzung und Mirror-Materie

Beitragvon Yukterez » Samstag 23. Juni 2012, 00:40

First Class Mirror Matter Vortrag: http://www.youtube.com/watch?v=5mmpQeO2gqc
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Re: Paritäts-Verletzung und Mirror-Materie

Beitragvon Yukterez » Samstag 23. Juni 2012, 18:18

Es ist schon faszinierend, dass der Spiegel alles spiegelt, nur nicht den Spin:

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Könnte man genauer hinschaun, würde das ein seltsames Bild ergeben...
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Re: Paritäts-Verletzung und Mirror-Materie

Beitragvon Yukterez » Samstag 23. Juni 2012, 22:51

Die nächste Überlegung: was wäre wohl, wenn man in ein schwarzes Loch fiele, welches aus Spiegelmaterie bestünde ? (:
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