Legenden, Mythen, Märchen - Boten von Bedeutung

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Legenden, Mythen, Märchen - Boten von Bedeutung

Beitragvon lesslow » Freitag 24. Dezember 2010, 05:44

Liebe User,

bei diesem Thema soll es - wie schon im Titel erwähnt - um die kleinen Geschichten und Erzählungen gehen, die - etwa in Form von Märchen und Liedern - der bunten Träumerei und abenteuerlustigen Phantasie unserer Kindheitstage Nahrung und Auftrieb boten.

Es soll um Legenden und Mythen gehen, deren Protagonisten Abenteuer und Kämpfe zu bestehen hatten und sich unglaublichen Aufgaben, Monstern und Göttern stellten,

Ebenso wie kleinen Anekdoten und Lehrgeschichten, die uns lachen lassen und auf lockere aber kräftige Weise zum Nachdenken und Reflektieren bringen.

Der Thread soll dazu dienen, solche Boten der Seele, Träger der verschlüsselten Lebensweisheit und Kulturlandschaft, zu sammeln und über sie, und vorallem uns selbst, den Menschen und seinen Weg zu sprechen.


Ich möchte beginnen, indem ich eine kleine Geschichte aus - Der Wanderer - poste:


Paulo Coehlo hat geschrieben:
Das Ende der Angst


Zwei Rabbiner lassen nichts unversucht, um den Juden in Nazi-
Deutschland geistlichen Beistand zu geben.
Zwei Jahre lang leben sie in ständiger Angst, gefaßt zu werden,
und zwei Jahre gelingt es ihnen, ihren Verfolgern zu entkommen
und in verschiedenen Gemeinden Gottesdienste abzuhalten.
Am Ende werden sie doch gefangengenommen.
Der erste Rabbiner betet in einem fort, aus Angst vor dem,
was ihm bevorsteht. Der zweite schläft den ganzen Tag.
»Warum schläfst du?« fragt der ängstliche Rabbiner.
»Um bei Kräften zu bleiben. Ich weiß, daß ich sie noch brauchen
werde«, sagt der andere.
»Aber hast du denn keine Angst? Wer weiß, was sie mit uns
vorhaben.«
»Ich hatte Angst bis zu dem Augenblick, in dem wir gefangen
genommen wurden. Die Zeit der Angst ist zu Ende; jetzt beginnt
die Zeit der Hoffnung.«



Ich finde die Geschichte sehr faszinierend, da sie nicht nur Bezug auf tatsächlich Geschehnisse (Verfolgung im Nationalsozialismus) nimmt und damit der Geschichte mehr Nachdruck, Dramatik und Authentizität verleiht, sondern ganz besonders auch deswegen, da sie auf sehr einfache Art, mit einfachen und wenigen Worten eine Menge auszudrücken vermag.

Die Geschichte enthält Elemente wie: Flucht und Verfolgung, Widerstand, Loyalität, Mut und Stärke im Glauben, Angst, Bedrohung, Lebensgefahr, Gefangennahme und Haft.

Diese Dramatik bündelt sich zu einem Punkt der unausweichlichen Konfrontation mit der Angst und Ursache der Flucht: einem Jäger in die Hände zu fallen, aufgespürt, gefunden und gefangen, hilflos und handlungsunfähig zu werden, unterlegen und ausgeliefert zu sein, die Freiheit und Entscheidungskraft zu verlieren, verletzt und getötet zu werden.

Die Hetzjagd finden ihr Ende und das Befürchtete tritt. Doch der Verlust wird zum Gewinn und die ausweglose Situation bringt neue Wege, die Gefangennahme führt zur Freiheit.

Während der eine Rabbi weiterhin dem Weg der Angst und Flucht folgt, hat der Zweite einen anderen gewählt. Er hat aufgehört zu fliehen und hat sich der Situation gestellt, sich ihr hingegeben. Er unternimmt nun nicht mehr den irrigen Versuch der Situation zu entfliehen, der Zukunft zu viel energie zu widmen, sondern hat begonnen die Gegenwart zu akzeptieren und sie für sich zu nutzen.

Er findet den Weg der Freiheit nach Innen, überwindet die Angst die den Menschen fesselt und nutzt diese Ruhe, um Kraft zu sammeln, statt sie zu vergeuden. Die innere Einstellung wandelt sich in ihrer Gestallt und Richtung. Sie wendet sich der Situation und den Dingen zu, anstatt sich von ihr abzuwenden. So nutzt er die Qualität und das Potenzial, die in dieser Zeit liegen, bereitet sich bewusst vor und bringt sich selbst in die Lage auf das Kommende reagieren zu können und Kraft zu haben, die Zukunft zu gestalten.

Das Opfer erlangt Tatkraft, der Gefangene Freiheit, der Verängstigte findet Vertrauen, der Verzweifelte Hoffnung, der Feigling nötigen Mut, der Gejagdte legt sich auf die Lauer und stellt sich dem Kampf.
„Ich habe an vielen Dingen keine Freude und glaube an viele Dinge nicht, die der Stolz der heutigen Menschheit sind; ich glaube nicht an die Technik, ich glaube nicht an die Idee des Fortschritts, ja nicht einmal an die Demokratie, ich glaube weder an die Herrlichkeit und Unübertrefflichkeit unserer Zeit, noch an irgendeinen ihrer hochbezahlten Führer, während ich vor dem, was man so ‚Natur‘ nennt, eine unbegrenzte Hochachtung habe.“ - Hermann Hesse
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Re: Legenden, Mythen, Märchen - Boten von Bedeutung

Beitragvon elfenpfad » Sonntag 26. Dezember 2010, 01:54

Ein schöner Thread ... :)




Diese Geschichte Von Rainer Maria Rilke habe ich einmal entdeckt, sie ist aus der Zeit seines Pariser Aufenthaltes - und sie hat mich tief berührt ...
Durch diese schöne ehrbürtige Geste, in Form des Geschenkes einer weissen aufgeblühten Rose, bringt Rilke dieser Bettlerin die Achtung ihrer Peson zum Ausdruck, und beschenkt diese Frau dadurch umso vieles mehr, als mit einer Geldspende aus Mitleid.


Die Bettlerin und die Rose

Gemeinsam mit einer jungen Französin kam er um die Mittagszeit an einem Platz vorbei, an dem eine Bettlerin sass, die um Geld anhielt. Ohne zu irgendeinem Geber je aufzusehen, ohne ein anderes Zeichen des Bittens oder Dankens zu äussern als nur immer die Hand auszustrecken, sass die Frau stets am gleichen Ort. Rilke gab nie etwas, seine Begleiterin gab häufig ein Geldstück. Eines Tages fragte die Französin verwundert nach dem Grund, warum er nichts gebe, und Rilke gab ihr zur Antwort: "Wir müssen ihrem Herzen schenken, nicht ihrer Hand." Wenige Tage später brachte Rilke eine eben aufgeblühte weisse Rose mit, legte sie in die offene, abgezehrte Hand der Bettlerin und wollte weitergehen.

Da geschah das Unerwartete: Die Bettlerin blickte auf, sah den Geber, erhob sich mühsam von der Erde, tastete nach der Hand des fremden Mannes, küsste sie und ging mit der Rose davon.

Eine Woche lang war die Alte verschwunden, der Platz, an dem sie vorher gebettelt hatte, blieb leer. Vergeblich suchte die Begleiterin Rilkes eine Antwort darauf, wer wohl jetzt der Alten ein Almosen gebe.

Nach acht Tagen sass plötzlich die Bettlerin wieder wie früher am gewohnten Platz. Sie war stumm wie damals, wiederum nur ihre Bedürftigkeit zeigend durch die ausgestreckte Hand.

"Aber wovon hat sie denn all die Tage, da sie nichts erhielt, nur gelebt?", frage die Französin.
Rilke antwortete: "Von der Rose . . ."


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Re: Legenden, Mythen, Märchen - Boten von Bedeutung

Beitragvon lesslow » Dienstag 28. Dezember 2010, 23:36

Ja, eine sehr gute Geschichte. Dein Kommentar hat es mir etwas einfach gemacht, sie zu verstehen - beim ersten mal lesen.


Das Folgende Märchen finde ich wirklich wunderbar, da es die Beziehung zwischen Wahrheit und Märchen darstellt - bzw. den Wert des Märchens Wahrheit zu vermitteln oder geborgen zu halten.


Die Wahrheit und das Märchen
Jüdisches Märchen aus Israel

Die Wahrheit ging durch die Strassen der Stadt, ganz nackt, wie am Tage ihrer Geburt. Kein Mensch wollte sie in sein Haus einlassen. Jeder, der sie traf, flüchtete voller Angst vor ihr. Da war die Wahrheit betrübt und verbittert. Als sie eines Tages wieder einmal in Gedanken versunken durch die Strassen ging, begegnete sie dem Märchen. Das Märchen war geschmückt mit prächtigen bunten Kleidern, die jedes Auge und jedes Herz entzückten. „Sag mir, geehrte Freundin“, fragte das Märchen die Wahrheit, „warum bist du so bedrückt und drehst dich auf den Strassen so betrübt herum?“ Da antwortete die Wahrheit: „Es geht mir schlecht, ich bin alt, kein Mensch will mich kennen, keiner mag mich.“ Doch das Märchen entgegnete ihr: „Nicht weil du alt bist, lieben dich die Menschen nicht. Auch ich bin sehr alt, und je älter ich werde, desto mehr lieben mich die Menschen. Siehe, ich will dir das Geheimnis der Menschen enthüllen: Sie mögen es, wenn jemand geschmückt ist, schön gekleidet und hübsch anzusehen. Ich werde dir solch herrliche Kleider borgen, mit denen ich angezogen bin, und du wirst sehen, dass die Leute auch dich lieben werden.“ Die Wahrheit befolgte diesen Rat und schmückte sich mit den Kleidern des Märchens. Und seitdem gehen Wahrheit und Märchen zusammen, und beide sind bei den Menschen beliebt.



Märchen stammt von dem alten Wort "Mär/Maere" ab und bedeutet soviel wie "Botschaft, Kunde, Bericht".

Max Frisch: Stiller hat geschrieben:'Märchen – Märchen! – und damit soll ich Sie verteidigen?'
'Womit denn sonst?'
'Märchen', klagt er, 'statt daß Sie mir ein einziges Mal eine klare und blanke und brauchbare Wahrheit erzählen!'


Das Märchen und der Mythos - Sie waren schon immer ein Vermittler und Bewahrer von Kultur, Weisheit und Führung in Form von begehbaren Symbollandschaften, Orientierung auf dem Weg nach Innen und der Selbstsuche. Von archetypischen Figuren und Monstern bewohnt, von Helden, Antihelden oder Menschen die ihre Reise durch eine neue unbekannte Welt antreten und Abenteuer bestehen, oder an ihnen scheitern.
„Ich habe an vielen Dingen keine Freude und glaube an viele Dinge nicht, die der Stolz der heutigen Menschheit sind; ich glaube nicht an die Technik, ich glaube nicht an die Idee des Fortschritts, ja nicht einmal an die Demokratie, ich glaube weder an die Herrlichkeit und Unübertrefflichkeit unserer Zeit, noch an irgendeinen ihrer hochbezahlten Führer, während ich vor dem, was man so ‚Natur‘ nennt, eine unbegrenzte Hochachtung habe.“ - Hermann Hesse
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Re: Legenden, Mythen, Märchen - Boten von Bedeutung

Beitragvon elfenpfad » Mittwoch 29. Dezember 2010, 14:25

Dein jüdisches Märchen zeigt wirklich sehr schön die Funktion der Märchen auf, die ja tiefe Wahrheiten und Erkenntnisse in bildhafter Sprache vermitteln ....


Durch Deinen Thread hab ich mich an ein Buch erinnert, dass ich vor Jahren mal gelesen habe, und dass ich nun auf meinem Bücherregal gesucht - und auf Anhieb gefunden habe - ( und das will was heissen, bei der Vielfalt der Bücherauswahl bei mir ;) :


Märchen als Schlüssel zur Welt von Felitcitas Betz

In dem Buch wird die Wichtigkeit der Märchenwelt für Kinder aufgezeigt, anhand von einer kleinen Auswahl an Geschichten.

Hier mal ein Auszug aus der Einführung des Buches dazu :
"Sollen wir Kindern Märchen erzählen? Wecken wir nicht nur Ängste und führen wir sie so nicht auf Gleise, in gesellschafliche Zusammenhänge, die unwiederbringlich vergangen sind? Machen wir sie nicht zu Träumern, die sich in der heutigen Realität nicht zurechtfinden ? So oder ähnlich fragen heute vielfach Erwachsene/Erzieher, die sich in den Strudel hineingerissen fühlen, der alle Traditionen fraglich macht.
Ich halte das Märchen für ein notwendiges Element zur Unterstützung der kindlichen Enwicklung, heute mehr als je zuvor ! Denn es geht darum, der Vermassung ins Seelenlose entgegenzuarbeiten.
Je stärker Kinder frühzeitig rational - intellektuell gefördert werden, umso wichtiger wird es, das Gegengewicht in der Seelentiefe zu aktivieren. Damit die Spannung zwischen klarer Bewusstheit und dem Bildarsenal im Vor - und Unterbewusstsein als befruchtendes Element erhalten bleibt.
Die Märchen verwenden eine Bildsprache, welches diese Bilder in der kindlichen Seele weckt und belebt."



Ich werd mal heute Abend eines der Märchen reinstellen und die Deutungen dazu, die in diesem Buch auch enthalten sind
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Re: Legenden, Mythen, Märchen - Boten von Bedeutung

Beitragvon elfenpfad » Mittwoch 29. Dezember 2010, 21:40

So, wie angekündigt, poste ich eines der Märchen aus dem oben beschriebenen Buch von Feliticats Betz "Märchen als Schlüssel zur Welt"
Es ist erst noch eines meiner Lieblingsmärchen aus meiner Kindheit, da ich leidenschaftlich gern Gries/Hirsebrei ass - so mit richtig viel Zimt und Zucker drauf ( mag ich heute noch gern ;) )



Der süße Brei ( Gebrüder Grimm )

Es war einmal ein armes frommes Mädchen, das lebte mit seiner Mutter allein, und sie hatten nichts mehr zu essen. Da ging das Kind hinaus in den Wald, und begegnete ihm da eine alte Frau, die wußte seinen Jammer schon und schenkte ihm ein Töpfchen, zu dem sollt es sagen »Töpfchen, koche,« so kochte es guten süßen Hirsenbrei, und wenn es sagte »Töpfchen, steh,« so hörte es wieder auf zu kochen. Das Mädchen brachte den Topf seiner Mutter heim, und nun waren sie ihrer Armut und ihres Hungers ledig und aßen süßen Brei, sooft sie wollten.
Auf eine Zeit war das Mädchen ausgegangen, da sprach die Mutter »Töpfchen, koche,« da kocht es, und sie ißt sich satt; nun will sie, daß das Töpfchen wieder aufhören soll, aber sie weiß das Wort nicht. Also kocht es fort, und der Brei steigt über den Rand hinaus und kocht immerzu, die Küche und das ganze Haus voll, und das zweite Haus und dann die Straße, als wollts die ganze Welt satt machen, und ist die größte Not, und kein Mensch weiß sich da zu helfen.
Endlich, wie nur noch ein einziges Haus übrig ist, da kommt das Kind heim, und spricht nur »Töpfchen, steh,« da steht es und hört auf zu kochen; und wer wieder in die Stadt wollte, der mußte sich durchessen.


Dieses Märchen bringt ein Phänomen ins Bild, das wir alle gelegentlich erleben: ein Mensch tut etwas scheinbar Harmloses, und bringt dadurch eine Lawine ins Rollen, die er nicht mehr aufhalten kann.

Als Symbole sei die "Alte im Walde" erwähnt; sie zeigt sich hier als eine um die Not wissende, Nahrung gebende Frau. Kinder haben Vorerfahrungen in ihren Müttern und Grossmüttern, aber auch in ihnen zugewandte Bezugspersonen und Erziehern erlebt.
Der Brei ist eine ursprüngliche Nahrung, die es noch vor dem Brot backen gab, und symbolisiert das Nährende als eine Funktion, die den Frauen obliegt.


Die Wirkung auf Kinder:

Ein Topf, der so "lieb" ist und Hunger stillte, wird plötzlich gefährlich und bringt entsetzliches Verderben. Das Spendende verkehrt sich in tödliche Bedrohung.
Gerade noch rechtzeitig bevor sich die Katastrophe vollendet, kommt das Kind heim und spricht das rettende Wort.
Nicht die Mutter, sondern das Kind weiss das Wort ! Es war ja auch sein Topf, und die Mutter hätte sich lieber nicht an ihm vergreifen sollen !

Die wichtigste Botschaft in diesem Märchen ist wohl, dass alle Dinge zwei Seiten haben: eine helle und eine dunkle
Die Kinder lernen unterschwellig, dass vieles nicht eindeutig "gut" oder "böse" ist, sondern eine Wertung sich erst aus dem Zusammenhang ergibt. Dass erst die Zusammenhänge die Unterscheidungskriterien für Gut und Böse liefern. In der Bibel heisst es z.B. "an ihren Früchten werdet ihr sie erkennen"
Nebenbei lernt das Kind noch dass es gefährlich sein kann, mit Dingen zu spielen/umzugehen, die man nicht versteht. Also beeinhaltet es eine Warnung, die dem Kind eindrücklich im Gedächtnis bleiben wird.


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Re: Legenden, Mythen, Märchen - Boten von Bedeutung

Beitragvon lesslow » Donnerstag 30. Dezember 2010, 09:34

elfenpfad hat geschrieben:Hier mal ein Auszug aus der Einführung des Buches dazu :

"Sollen wir Kindern Märchen erzählen? Wecken wir nicht nur Ängste und führen wir sie so nicht auf Gleise, in gesellschafliche Zusammenhänge, die unwiederbringlich vergangen sind? Machen wir sie nicht zu Träumern, die sich in der heutigen Realität nicht zurechtfinden ? So oder ähnlich fragen heute vielfach Erwachsene/Erzieher, die sich in den Strudel hineingerissen fühlen, der alle Traditionen fraglich macht.
Ich halte das Märchen für ein notwendiges Element zur Unterstützung der kindlichen Enwicklung, heute mehr als je zuvor ! Denn es geht darum, der Vermassung ins Seelenlose entgegenzuarbeiten.
Je stärker Kinder frühzeitig rational - intellektuell gefördert werden, umso wichtiger wird es, das Gegengewicht in der Seelentiefe zu aktivieren. Damit die Spannung zwischen klarer Bewusstheit und dem Bildarsenal im Vor - und Unterbewusstsein als befruchtendes Element erhalten bleibt.
Die Märchen verwenden eine Bildsprache, welches diese Bilder in der kindlichen Seele weckt und belebt."



Ja, das Märchen benutzt eine Bildsprache - genauer: Es benutzt Sinnbilder, eben das, was wir Symbole nennen:

wiktionary hat geschrieben:Herkunft: entlehnt von lateinisch symbolum → la, das auf das griechische σύμβολον (sýmbolon) → grc „Erkennungszeichen, Kennzeichen, Sinnbild, Merkmal“ zurückgeht. Das Wort ist seit dem 15. Jahrhundert belegt.


wikipedia hat geschrieben:Für die Wortgeschichte war der Beginn des aristotelischen Traktats De interpretatione, wo „das zur Sprache Gekommene“ als „sýmbolon“ der „Vorgänge in der Seele“ bzw. die Schrift als „sýmbolon“ der gesprochenen Sprache bestimmt wird, besonders bedeutsam.

In allgemeinen Lexika wird Symbol definiert als
„einen tieferen Sinn andeutendes Zeichen, Sinnbild; bildhaftes, anschauliches, wirkungsvolles Zeichen für einen Begriff oder Vorgang, oft ohne erkennbaren Zusammenhang mit diesem“ (Beispiel: Blaue Blume)
„Sinnbild“ (Beispiele: christliche Symbole; weiße Taube als Symbol des Friedens)
„Sinnbild, das in seiner Ausdruckskraft den Inhalt eines vorgestellten Gegenstandes zum Ausdruck bringt“; im engeren Sinn religiöse oder kultische Symbole

Der Symbolbegriff bei Goethe
Für den romantischen Symbolbegriff [...] war Goethes Theorie des Symbols maßgeblich. Goethe fasste das Symbol auf als „aufschließende Kraft“, „die im Besonderen das Allgemeine (und im Allgemeinen das Besondere) darzustellen vermag“, und grenzte es als in seiner unendlichen Bedeutungsfülle irreduzibles Zeichen von der rational aufschlüsselbaren Allegorie ab: „Die Symbolik verwandelt die Erscheinung in Idee, die Idee in ein Bild, und so, dass die Idee im Bild immer unendlich wirksam und unerreichbar bleibt und, selbst in allen Sprachen ausgesprochen, doch unaussprechlich bliebe. / Die Allegorie verwandelt die Erscheinung in einen Begriff, den Begriff in ein Bild, doch so, dass der Begriff im Bilde immer noch begrenzt und vollständig zu halten und zu haben und an demselben auszusprechen sei. / […] Es ist ein großer Unterschied, ob der Dichter zum Allgemeinen das Besondere sucht oder im Besonderen das Allgemeine schaut. Aus jener Art entsteht Allegorie, wo das Besondere nur als Beispiel, als Exempel des Allgemeinen gilt; die letztere aber ist eigentlich die Natur der Poesie, sie spricht ein Besonderes aus, ohne ans Allgemeine zu denken oder darauf hinzuweisen. Wer nun das Besondere lebendig fasst, erhält zugleich das Allgemeine mit, ohne es gewahr zu werden, oder erst spät.“ (Maximen und Reflexionen, 749-751)



Johann Wolfgang von Goethe: "Alles Leben ist ein Gleichnis."

Carl Gustav Jung: "Die gesamte Natur ist symbolhaft, jede Erkenntnis des Symbolischen beruht auf Erfahrung."

Helena Petrovna Blavatsky: "Die erklärenden Erzählungen der Lehre sind nur deren äußeres Gewand. Der Unwissende sieht nur das Gewand und nichts dahinter, während der Weise auch das erblickt, was jenes Gewand umhüllt. Daher sind alle heiligen Schriften voll von Allegorien. Ein Symbol ist der bildliche Ausdruck einer Idee oder eines Gedankens. Die ursprüngliche Schrift hatte keine Zeichen, sondern ein Symbol stand für ein Wort oder einen Satz. So ist ein Symbol eine überlieferte Parabel, und eine Parabel ist ein gesprochenes Symbol."

lebensarten.alphanova.at: "Die moderne Kulturanthropologie versteht Kultur als Lebensform. Damit ist gesagt, dass Kultur nicht, wie man lange meinte, etwas ist, was allein durch bestimmte geistige, intellektuelle Leistung entsteht. Der Begriff „Lebensform“ wurde vom Philosophen Ludwig Wittgenstein in die Philosophie eingebracht. Die kulturwissenschaftliche Anwendung dieses Begriffes erfordert, dass man ihm einen konkret fassbaren Inhalt gibt, indem man hinzufügt und differenziert, was die Grundelemente jeder menschlicher Lebensform sind. Es sind: 1) die symbolische Dimension, 2) soziale Dimension und 3) das Individuum. Alles menschliche Tun weist diese drei Dimensionen auf. Der Angelpunkt aller Formen von Leben ist das tätige, das handelnde Individuum. Wenn es handelt, bewegt es sich im sozialen Raum, und die sozialen Beziehungen, die es hat oder eingeht, sind vermittelt durch Sprache und Symbol. Sprache und Symbol sind der Stoff, aus dem Kulturen entstehen." (http://www.lebensarten.alphanova.at/downloads/list.pdf)

Erich Fromm: "Die Symbolsprache ist die älteste Sprache der Menschheit, daher müssen wir ihr Verständnis suchen, nicht ihre Deutung. Sie ist eine eigenständige Sprache; die einzige universelle Sprache, die die Menschheit jemals entwickelt hat. Daher geht es darum, sie zu verstehen, und nicht darum, sie zu deuten, so als ob man es mit einem künstlich hergestellten Geheimcode zu tun hätte. Nicht nur für den Psychotherapeuten, der seelische Störungen zu beheben versucht, sondern für jeden, der mit sich selbst in Berührung kommen möchte, ist es wichtig, diese Symbolsprache verstehen zu können. Deshalb sollte auf unseren höheren Schulen und auf den Universitäten, ebenso wie der Unterricht in anderen 'Fremdsprachen', so auch der Unterricht in der Symbolsprache in den Lehrplan aufgenommen werden. / Die Mythen der Babylonier, Inder, Ägypter, Hebräer, Griechen sind in der gleichen Sprache geschrieben wie die der Aschantis und Irokesen. Die Träume eines heutigen Einwohners von New York oder Paris sind die gleichen wie die, welche von Menschen berichtet werden, die vor ein paar tausend Jahren in Athen oder Jerusalem lebten. Die Träume antiker und moderner Menschen sind in der gleichen Sprache geschrieben wie die Mythen. Die Symbolsprache ist eine Sprache, in der innere Erfahrungen, Gefühle und Gedanken so ausgedrückt werden, als ob es sich um sinnliche Wahrnehmungen, um Ereignisse in der Außenwelt handelt. Es ist eine Sprache, die eine andere Logik hat als unsere Alltagssprache, die wir tagsüber sprechen, eine Logik, in der nicht Zeit und Raum die dominierenden Kategorien sind, sondern Intensität und Assoziation. Es ist die einzige universelle Sprache, die die Menschheit je entwickelt hat und die für alle Kulturen im Verlauf der Geschichte die gleiche ist. Es ist eine Sprache sozusagen mit eigener Grammatik und Syntax, eine Sprache, die man verstehen muss, wenn man die Bedeutung von Mythen, Märchen und Träumen verstehen will. Ich halte die Symbolsprache für die einzige Fremdsprache, die jeder von uns lernen sollte. Wenn wir sie verstehen, kommen wir mit dem Mythos in Berührung, der eine der bedeutendsten Quellen der Weisheit ist, wir lernen die tieferen Schichten unserer eigenen Persönlichkeit kennen. Tatsächlich verhilft sie uns zum Verständnis einer Erfahrungsebene, die deshalb spezifisch menschlich ist, weil sie nach Inhalt und Sinn der ganzen Menschheit gemeinsam ist."

Siegmund Freud
: "Sollten wir die ersten Spuren dichterischer Betätigung nicht schon beim Kinde suchen? Die liebste und intensivste Beschäftigung des Kindes ist das Spiel. Vielleicht dürfen wir sagen: Jedes spielende Kind benimmt sich wie ein Dichter, indem es sich eine eigene Welt erschafft oder, richtiger gesagt, die Dinge seiner Welt in eine neue, ihm gefällige Ordnung versetzt. Es wäre dann unrecht zu meinen, es nähme diese Welt nicht ernst; im Gegenteil, es nimmt sein Spiel sehr ernst, es verwendet große Affektbeträge darauf. Der Gegensatz zu Spiel ist nicht Ernst, sondern — Wirklichkeit. Das Kind unterscheidet seine Spielwelt sehr wohl, trotz aller Affektbesetzung, von der Wirklichkeit und lehnt seine imaginierten Objekte und Verhältnisse gerne an greifbare und sichtbare Dinge der wirklichen Welt an. Nichts anderes als diese Anlehnung unterscheidet das »Spielen« des Kindes noch vom »Phantasieren«. / Der Dichter tut nun dasselbe wie das spielende Kind; er erschafft eine Phantasiewelt, die er sehr ernst nimmt, d. h. mit großen Affektbeträgen ausstattet, während er sie von der Wirklichkeit scharf sondert. Und die Sprache hat diese Verwandtschaft von Kinderspiel und poetischem Schaffen festgehalten, indem sie solche Veranstaltungen des Dichters, welche der Anlehnung an greifbare Objekte bedürfen, welche der Darstellung fähig sind, als Spiele: Lustspiel, Trauerspiel, und die Person, welche sie darstellt, als Schauspieler bezeichnet. Aus der Unwirklichkeit der dichterischen Welt ergeben sich aber sehr wichtige Folgen für die künstlerische Technik, denn vieles, was als real nicht Genuß bereiten könnte, kann dies doch im Spiele der Phantasie, viele an sich eigentlich peinliche Erregungen können für den Hörer und Zuschauer des Dichters zur Quelle der Lust werden."

das Symbol - Die Symbolik - eine universelle Sprache - Märchen und Traum

http://www.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/117920.html hat geschrieben:Heute wissen Psychologen, dass Kinder immer wieder durch die frühen vorschulischen Jahre des so
genannten eidetischen Wahrnehmens gehen, also des bildhaften Aufnehmens der
Umweltzusammenhänge. Die uralten, weit entfernten und zugleich höchst vertrauten Orte, von
denen das Märchen spricht, lassen auf eine Reise in die Tiefe unseres Gemüts, in das Unbewusste,
schließen.

3. Warum sind Märchen wichtig?
Wenn Eltern ihren Kindern Märchen erzählen, geben sie ihnen einen wichtigen Beweis dafür, dass
sie die inneren Erfahrungen des Kindes, wie sie im Märchen verkörpert sind, für lohnend, legitim
und in gewisser Weise sogar für ,,real" halten. Daraus zieht das Kind die stillschweigende
Folgerung, selbst real und bedeutsam zu sein.

Märchen zeigen außerdem, dass das Leben nicht nur ein bloßes Vergnügen ist, sondern eine Art
ausgefallenes Privileg für jeden Einzelnen. Märchen schützen somit im Zusammenprall mit den
Härten und Anforderungen des Lebens vor Mutlosigkeit.
Hinzu kommt das Problem, dass die wirklichen Leistungen eines Kindes im Vergleich zu seinen
Misserfolgen in die Bedeutungslosigkeit absinken, wenn auch nur, weil es nicht erfassen kann, was
tatsächlich möglich ist.
Wenn die Phantasie ihm nun nicht zur Hilfe kommt, dann kann diese Ernüchterung zu einer so
schweren Enttäuschung führen, dass es von jeder weiteren Bemühung ablässt, sich von der Welt
abwendet und sich in sich selbst zurück zieht.

Wenn man also die Fähigkeit des Kindes, seine Phantasie über den eigenen gegenwärtigen Zustand
hinauswachsen zu lassen, näher betrachtet, so stellt man fest, dass ein Kind auf diese Art und Weise
die in der Realität erlebten Frustrationen besser bzw. leichter erträgt.[...]



Fachartikel von Gertrud Ennulat in "Welt des Kindes": Kinderträume.

Symbolische Malerei

Rollenspiel mit Märchen: Chancen und Risiken - Dr. Thomas Schwinger




Dschuang Dsï - Wahres Buch vom südlichen Blütenland hat geschrieben:Einst träumte Dschuang Dschou, daß er ein Schmetterling sei, ein flatternder
Schmetterling, der sich wohl und glücklich fühlte und nichts wußte von
Dschuang Dschou. Plötzlich wachte er auf: da war er wieder wirklich und
wahrhaftig Dschuang Dschou. Nun weiß ich nicht, ob Dschuang Dschou
geträumt hat, daß er ein Schmetterling sei, oder ob der Schmetterling geträumt
hat, daß er Dschuang Dschou sei, obwohl doch zwischen Dschuang Dschou
und dem Schmetterling sicher ein Unterschied ist. So ist es mit der Wandlung
der Dinge.

„Ich habe an vielen Dingen keine Freude und glaube an viele Dinge nicht, die der Stolz der heutigen Menschheit sind; ich glaube nicht an die Technik, ich glaube nicht an die Idee des Fortschritts, ja nicht einmal an die Demokratie, ich glaube weder an die Herrlichkeit und Unübertrefflichkeit unserer Zeit, noch an irgendeinen ihrer hochbezahlten Führer, während ich vor dem, was man so ‚Natur‘ nennt, eine unbegrenzte Hochachtung habe.“ - Hermann Hesse
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Re: Legenden, Mythen, Märchen - Boten von Bedeutung

Beitragvon elfenpfad » Donnerstag 30. Dezember 2010, 22:46

schöne Geschichte von Dschuang Dsï über die Wandlung der Dinge, less ...


Ich möchte zu diesen ganzen Quellen wunderbarer Aussagen über die Wichtigkeit und Kraft der Märchen, gerade auch für Kinder, noch ein Zitat von Thorwald Detlefsen: hinzufügen, der diese Bedeutung auf einen wichtigen Punkt bringt, wie ich meine:

" Würde die Tradition der Märchenerzähler, die durch Gasthäuser, Dörfer ... zogen und Märchen erzählten, heute noch bestehen und die Menschen genügend mit heilenden, kraftgebenden Bildern versorgt werden, dann wäre das Berufsbild des Psychologen und Psychoanalytikers überflüssig.
Die Menschen waren so mit heilenden Bildern versorgt, dass die Seele sich selbst heilen konnte. So wie der Körper nach Nahrung verlangt, so verlangt auch die Seele nach heilenden Bildern als Nahrung. Diese Bilder gibt das Märchen, ebenfalls die Mythen, Sagen und Legenden der Völker."

Thorwald Detlefsen




Khalil Gibran hat geschrieben:
Das Auge sagte eines Tages: "Ich sehe hinter diesen Tälern im blauen Dunst einen Berg. Ist er nicht wunderschön?"
Das Ohr lauschte und sagte nach einer Weile: "Wo ist der Berg? Ich höre keinen!"
Darauf sagte die Hand: "Ich versuche vergeblich, ihn zu greifen. Ich finde keinen Berg!"
Die Nase sagte: "Ich rieche nichts. Da ist kein Berg!"
Da wandte sich das Auge in eine andere Richtung. Die anderen diskutierten weiter über diese merkwürdige Täuschung
und kamen zu dem Schluß: "Mit dem Auge stimmt etwas nicht!"


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Re: Legenden, Mythen, Märchen - Boten von Bedeutung

Beitragvon elfenpfad » Samstag 15. Januar 2011, 23:42

Von der Angst, sein Leben zu leben ---




Die Angst der Kerze


Eines Tages kam ein Zündholz zur Kerze und sagte: "Ich habe den Auftrag, dich anzuzünden."

"O nein!" erschrak da die Kerze. "Nur das nicht. Wenn ich brenne, sind meine Tage gezählt! Niemand mehr wird meine Schönheit bewundern!" Und sie begann zu weinen.

Das Zündholz fragte: "Aber willst du denn dein Leben lang kalt und hart bleiben, ohne je gelebt zu haben?"

"Aber brennen tut doch weh und zehrt an meinen Kräften", schluchzte die Kerze unsicher und voller Angst.

"Das ist schon wahr." entgegnete das Zündholz. "Aber das ist doch auch das Geheimnis unserer Berufung: Wir sind berufen, Licht zu sein. Was ich tun kann, ist wenig. Zünde ich dich aber nicht an, so verpasse ich den Sinn meines Lebens. Ich bin dafür da, das Feuer zu entfachen. Du bist die Kerze. Du sollst für andere leuchten und Wärme schenken. Alles, was du an Schmerz und Leid und Kraft hingibst, wird verwandelt in Licht. Du gehst nicht verloren, wenn du dich verzehrst. Andere werden dein Feuer weitertragen. Nur wenn du dich versagst, wirst du sterben."

Da spitzte die Kerze ihren Docht und sprach voller Erwartung: "Ich bitte dich, zünde mich an."

Verfasser unbekannt

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Re: Legenden, Mythen, Märchen - Boten von Bedeutung

Beitragvon elfenpfad » Mittwoch 26. Januar 2011, 16:45

Eine Fabel aus Japan : Die Meditation

Einmal hatten sich vier Priester verabredet, eine Nacht in tiefster Meditation zu verbringen. Sie nahmen sich gegenseitig das Gelübde ab, dass keiner von ihnen, komme was da wolle, durch ein Wort die Meditation stören dürfe.

Für die Meditation wurde der Hauptraum des Tempels ausersehen. Dort wurden vier Kerzen in Leuchtern aufgestellt. Ein junger Priesterschüler wurde beauftragt aufzupassen, dass die Kerzen hell und gleichmäßig brannten. Falls sich Schuppen bilden sollten, sollte er sie putzen.

Nun bildeten sich nach kurzer Zeit tatsächlich Schuppen an den Dochten und das Licht der Kerzen wurde immer trüber. Der Tempelschüler aber sah es nicht, da er vergeblich versuchte, gegen die Müdigkeit anzukämpfen.

Einer der Priester suchte ihn nun durch wiederholtes Winken auf seine Pflicht aufmerksam zu machen. Als der Schüler aber seine Gesten nicht beachtete, verlor er die Geduld und furh ihn an: “He, du Bursche, siehst du denn nicht, dass die Kerzen geputzt werden müssen?”

Da wandte sich der zweite Priester dem Sprecher zu: “Hast du denn vergessen, dass während der Meditation nicht gesprochen werden sollte?”

Ärgerlich rief nun der dritte: “Wenn ihr beiden euch hier unterhalten wollt, kann man beim besten Willen nicht meditieren!”

Und der vierte sagte, nachdem er alle der Reihe nach angeblickt hatte, selbstgefällig: “Ich bin der einzige, der das Gelübde nicht gebrochen hat.”


Ich würde sagen, diese vier Priester haben alle noch einen langen Weg vor sich ^^

Irgendwie kam mir beim Lesen dieser Geschichte ein mir bekannter befreundeter Mann in den Sinn, der früher regelmässig meditierte.
Er hatte so seine festen Zeiten, die er strikt einhielt, egal was grad so anfiel. Es konnte also passieren, wenn ein paar aus dem Freundeskreis zu ihm kamen und ihn für z.B. einen Spaziergang abholen wollten, dass er dann sagte: " Ne geht jetzt nicht, ich muss erstmal noch meditieren"
Was bei uns jeweils immer grosse Erheiterung auslöste, und wir uns ein Grinsen nicht verkneifen konnten ;)
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Re: Legenden, Mythen, Märchen - Boten von Bedeutung

Beitragvon elfenpfad » Mittwoch 6. April 2011, 13:33

Um diesen schönen thread auch einmal wieder zu beleben .... :)
Ich finde diese Geschichte sehr aufschluss - und lehrreich, im Hinblick auf die immer wieder geführten regelrechten Streitdebatten von Wissenschaftlern, denen oft die nötige Offenheit fehlt und ein umfassenderer Blickwinkel.


Die Blinden und der Elefant

Das Gleichnis scheint in Südasien entstanden zu sein, aber seine Originalquelle ist noch in der Diskussion. Es wurde dem Sufismus, Jainismus, Buddhismus, oder Hinduismus zugeschrieben und wurde in all diesen Glaubensrichtungen verwendet.

Es waren einmal fünf weise Gelehrte. Sie alle waren blind. Diese Gelehrten wurden von ihrem König auf eine Reise geschickt und sollten herausfinden, was ein Elefant ist. Und so machten sich die Blinden auf die Reise nach Indien. Dort wurden sie von Helfern zu einem Elefanten geführt. Die fünf Gelehrten standen nun um das Tier herum und versuchten, sich durch Ertasten ein Bild von dem Elefanten zu machen.

Als sie zurück zu ihrem König kamen, sollten sie ihm nun über den Elefanten berichten. Der erste Weise hatte am Kopf des Tieres gestanden und den Rüssel des Elefanten betastet. Er sprach: "Ein Elefant ist wie ein langer Arm." Der zweite Gelehrte hatte das Ohr des Elefanten ertastet und sprach: "Nein, ein Elefant ist vielmehr wie ein großer Fächer." Der dritte Gelehrte sprach: "Aber nein, ein Elefant ist wie eine dicke Säule." Er hatte ein Bein des Elefanten berührt. Der vierte Weise sagte: "Also ich finde, ein Elefant ist wie eine kleine Strippe mit ein paar Haaren am Ende", denn er hatte nur den Schwanz des Elefanten ertastet. Und der fünfte Weise berichtete seinem König: " Also ich sage, ein Elefant ist wie ein riesige Masse, mit Rundungen und ein paar Borsten darauf." Dieser Gelehrte hatte den Rumpf des Tieres berührt.

Nach diesen widersprüchlichen Äußerungen fürchteten die Gelehrten den Zorn des Königs, konnten sie sich doch nicht darauf einigen, was ein Elefant wirklich ist. Doch der König lächelte weise: "Ich danke Euch, denn ich weiß nun, was ein Elefant ist: Ein Elefant ist ein Tier mit einem Rüssel, der wie ein langer Arm ist, mit Ohren, die wie Fächer sind, mit Beinen, die wie starke Säulen sind, mit einem Schwanz, der einer kleinen Strippe mit ein paar Haaren daran gleicht und mit einem Rumpf, der wie eine große Masse mit Rundungen und ein paar Borsten ist."

Die Gelehrten senkten beschämt ihren Kopf, nachdem sie erkannten, dass jeder von ihnen nur einen Teil des Elefanten ertastet hatte und sie sich zu schnell damit zufrieden gegeben hatten


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