bei diesem Thema soll es - wie schon im Titel erwähnt - um die kleinen Geschichten und Erzählungen gehen, die - etwa in Form von Märchen und Liedern - der bunten Träumerei und abenteuerlustigen Phantasie unserer Kindheitstage Nahrung und Auftrieb boten.
Es soll um Legenden und Mythen gehen, deren Protagonisten Abenteuer und Kämpfe zu bestehen hatten und sich unglaublichen Aufgaben, Monstern und Göttern stellten,
Ebenso wie kleinen Anekdoten und Lehrgeschichten, die uns lachen lassen und auf lockere aber kräftige Weise zum Nachdenken und Reflektieren bringen.
Der Thread soll dazu dienen, solche Boten der Seele, Träger der verschlüsselten Lebensweisheit und Kulturlandschaft, zu sammeln und über sie, und vorallem uns selbst, den Menschen und seinen Weg zu sprechen.
Ich möchte beginnen, indem ich eine kleine Geschichte aus - Der Wanderer - poste:
Paulo Coehlo hat geschrieben:
Das Ende der Angst
Zwei Rabbiner lassen nichts unversucht, um den Juden in Nazi-
Deutschland geistlichen Beistand zu geben.
Zwei Jahre lang leben sie in ständiger Angst, gefaßt zu werden,
und zwei Jahre gelingt es ihnen, ihren Verfolgern zu entkommen
und in verschiedenen Gemeinden Gottesdienste abzuhalten.
Am Ende werden sie doch gefangengenommen.
Der erste Rabbiner betet in einem fort, aus Angst vor dem,
was ihm bevorsteht. Der zweite schläft den ganzen Tag.
»Warum schläfst du?« fragt der ängstliche Rabbiner.
»Um bei Kräften zu bleiben. Ich weiß, daß ich sie noch brauchen
werde«, sagt der andere.
»Aber hast du denn keine Angst? Wer weiß, was sie mit uns
vorhaben.«
»Ich hatte Angst bis zu dem Augenblick, in dem wir gefangen
genommen wurden. Die Zeit der Angst ist zu Ende; jetzt beginnt
die Zeit der Hoffnung.«
Ich finde die Geschichte sehr faszinierend, da sie nicht nur Bezug auf tatsächlich Geschehnisse (Verfolgung im Nationalsozialismus) nimmt und damit der Geschichte mehr Nachdruck, Dramatik und Authentizität verleiht, sondern ganz besonders auch deswegen, da sie auf sehr einfache Art, mit einfachen und wenigen Worten eine Menge auszudrücken vermag.
Die Geschichte enthält Elemente wie: Flucht und Verfolgung, Widerstand, Loyalität, Mut und Stärke im Glauben, Angst, Bedrohung, Lebensgefahr, Gefangennahme und Haft.
Diese Dramatik bündelt sich zu einem Punkt der unausweichlichen Konfrontation mit der Angst und Ursache der Flucht: einem Jäger in die Hände zu fallen, aufgespürt, gefunden und gefangen, hilflos und handlungsunfähig zu werden, unterlegen und ausgeliefert zu sein, die Freiheit und Entscheidungskraft zu verlieren, verletzt und getötet zu werden.
Die Hetzjagd finden ihr Ende und das Befürchtete tritt. Doch der Verlust wird zum Gewinn und die ausweglose Situation bringt neue Wege, die Gefangennahme führt zur Freiheit.
Während der eine Rabbi weiterhin dem Weg der Angst und Flucht folgt, hat der Zweite einen anderen gewählt. Er hat aufgehört zu fliehen und hat sich der Situation gestellt, sich ihr hingegeben. Er unternimmt nun nicht mehr den irrigen Versuch der Situation zu entfliehen, der Zukunft zu viel energie zu widmen, sondern hat begonnen die Gegenwart zu akzeptieren und sie für sich zu nutzen.
Er findet den Weg der Freiheit nach Innen, überwindet die Angst die den Menschen fesselt und nutzt diese Ruhe, um Kraft zu sammeln, statt sie zu vergeuden. Die innere Einstellung wandelt sich in ihrer Gestallt und Richtung. Sie wendet sich der Situation und den Dingen zu, anstatt sich von ihr abzuwenden. So nutzt er die Qualität und das Potenzial, die in dieser Zeit liegen, bereitet sich bewusst vor und bringt sich selbst in die Lage auf das Kommende reagieren zu können und Kraft zu haben, die Zukunft zu gestalten.
Das Opfer erlangt Tatkraft, der Gefangene Freiheit, der Verängstigte findet Vertrauen, der Verzweifelte Hoffnung, der Feigling nötigen Mut, der Gejagdte legt sich auf die Lauer und stellt sich dem Kampf.