Hallo Guhrfisch.
Dieses Denken:
"Man bin ich ein guter Mensch." geht etwas in die falsche Richtung - dies hat einen Hauch von Selbstüberschätzung
... klingt fast nach Intoleranz. Meinem Verständnis nach, wäre diese Art von Selbstgerechtigkeit teilweise eine systematische Selbsttäuschung ... eine systematische Fehlbewertung - zum Schutz eines positiven Selbstbildes. Dies kann zumindest dazu ausarten, wenn dies
nur in übertriebener Form geschieht oder wenn dies letztlich krankhafte Zustände annimmt. Dieses kann letztlich
- im Umkehrschluß - zu einer Art Minderwertigkeitsgefühl führen ... zu
(falschem) Kompensationsverhalten.
Guhrfisch hat geschrieben:Je mehr ich drüber nachdenke desto ungenauer wird das Bild von mir selber.
Dies ist verständlich ... weitgehend normal!
Je mehr ich über mein Verhalten ... über meine Möglichkeiten nachdenke, umso mehr Widersprüche ... umsomehr Ungereimtheiten werde ich finden. Was letztlich dazu führen kann, daß ich alles ... mein gesamtes Vorhaben
- wozu auch meine Selbstfindung ... mein persönliches Wertigkeitsgefühl gehört - als minderwertig empfinde.
Guhrfisch hat geschrieben:Was ist den der „ normale“ Fall der Selbstfindung?
Den Selbstfindungsprozess gibt es nicht - jeder muß ihn für sich persönlich finden.
Ich würde Dir
- ohne mich vor weiteren Antworten drücken zu wollen, ich würde Dir zu diesem Thema einige Bücher von Alfred Adler empfehlen. Alfred Adler war ein österreichischer Arzt und Psychotherapeut. Er war befreundet mit Sigmund Freud, interpretiert
- im Gegensatz zu Freud - den Einzelnen als weitgehend freies Wesen - er sah den Menschen nicht von Trieben bestimmt.
... also frei von evolutionären Gedanken und deren Handlungsweisen ... -zwängen.
Adler ist der Begründer der Individualpsychologie.
Er sah etwa beim menschlichen Säugling
- aufgrund seiner Hilflosigkeit - ein vorhandenes Minderwertigkeitsgefühl
- als positiven Antrieb für Wachstum und Entwicklung, aber erst negative Faktoren in seiner Entwicklung
- überhöhte Geltungsstreben, der 'Wille zur Macht', überhöhte Erwartungshaltung, etc. - stellt in der Individualpsychologie
"eine seelische Überkompensation" eines verstärkt erlebten Minderwertigkeitsgefühls dar und gilt als
"seelische Krankheitserscheinung".
Ein Assimilation ... eine Angleichung an vorherrschende ... an gewünschte Vorstellungen
- 'Wie ich gesehen werde' ... gesehen werden will - kann zu einer
'seelischen Überkompensation' führen.
... wird sie vermutlich auch, wenn damit (unbewußte) übertriebene Macht- oder Geltungsstreben und Selbstinszenierung kompensiert werden sollen.
Selbstverständlich:
Den größtmöglichen Einklang mit den Mitmenschen und der Umwelt anzustreben, ... das ist `normal`, es gehört weitgehend zum Allgemeingut ... zur Lebenspraxis.
Aber nochmal:
Nur nach der Meinung Anderer zu fragen - "Wie sehen mich die Anderen?" - halte ich für falsch - aber auch ein: 'Weiter so!' zu Letzterem zähle ich auch die von Dir aufgeworfenen Frage/Aussage: "Man bin ich ein guter Mensch."
... dies würde unweigerlich in die Isolation führen, zu einer Überbetonung des Ichs und damit zur Überkompensation der Minderwertigkeitsgefühle durch "ein sich komplexbeladen äußerndes Machtstreben oder Geltungssucht bis hin zur Profilneurose".