Dgoe hat geschrieben:Hallo Ralf,
gut, ich konnte alle Rechnungen im Detail nachvollziehen, bis auf das mit der Polynomdivision. Und: wo war die Eulersche Formel gewesen?
Gruß,
Dgoe
Hallo Dgoe,
nirgends: die Euler'sche Formel spielt nicht im algebraischen, sondern im analytischen Ansatz eine Rolle.
Vielleicht ist das Wort "analytisch" für den Laien irreführend, das hat zunächst einmal nichts mit dem umgangssprachlichen Wort zu tun, auch wenn es natürlich von dort kommt.
"Geometrisch" dürfte klar sein, da konstruiert man sich irgendetwas mit Zirkel und Lineal (und Einheitsmaßstab), also wenn man wie beim Ziffernblatt einer Uhr den Zeiger um 1 Stunde weiterdreht, so ist das zunächst einmal ein geometrischer Ansatz.
"Algebraisch" wird er, wenn man die geometrisch konstruierten Aktivitäten brute force ausrechnet und dann vor allem auch auf die Struktur dieser Mengen und ihrer Operationen untersucht, also ob eine Gruppe vorliegt, ein Ring oder ein Körper; dabei überprüft man dann, dass z.B. das Ergebnis einer Rechnung stets wieder in der Menge liegt, ob Assoziativgesetze gelten, Neutralelemente vorhanden sind, inverse Elemente und Kommutativgesetze und bei mehreren Operationen auch das Distributivgesetz.
Die Lineare Algebra ist da ein bisschen ein "Zwischending" und wird zur Einführung in die Algebra verwendet: hier kann man noch gut die geometrische Konstruktion und Anschauung konkret berechnen und gleichzeitig das ganze auf Strukturen (Vektorräume und Gruppen) untersuchen; in der Algebra überwiegt dann die Strukturuntersuchung.
In der "Analysis" indes wird das Verhalten von Funktionen untersucht, also ob da vielleicht ein Spezialfall wie die Nullfunktion, eine konstante Funktion, eine (rein-)lineare Funktion, eine quadratische Funktion, eine Exponentialfunktion oder sonst was vorliegt; da werden im Allgemeinen Begriffe wie Stetigkeit genauer untersucht, dann auch Ableitungen und Integrale.
Beim Einheitskreis wird man also diesen im analytischen Ansatz mithilfe der Exponentialfunktion beschreiben, das klappt sehr schön und läuft auf wohlvertraute Funktionen wie Sinus und Cosinus hinaus, wobei ein Mathematiker den etwas plumpen Cosinus in den Mittelpunkt stellen würde und nicht den dem Laien besser vertrauten Sinus. Beide sind ja völlig gleichwertig. Dank dem kann man dann eben im Einheitskreis auch geometrisch und algebraisch vorgehen; der Satz des Pythagoras spielt da dann ebenfalls eine herausragende Rolle bei der Herleitung eines ganz zentralen Resultates.
Oder die geometrische Reihe, die wir genutzt haben, um die Existenz der Euler'schen Zahl nachzuweisen, wobei hierfür die geometrische Reihe der Zahl 1/2 völlig ausreichend ist, also ich gehe die Hälfte zur Wand, dann vom neuen Standort wieder die Hälfte zur Wand, dann wieder die Hälfte usw. und man kann sich sehr einfach auch geometrisch vorstellen, dass man die Wand erst im Unendlichen erreicht.
Man kann es auch - natürlich ist das ungenau - so unterscheiden: wenn die Zahl der Elemente abzählbar unendlich ist, so ist der Ansatz algebraisch, also von der Algebra herkommend, und wenn die Zahl der Elemente überabzählbar unendlich ist, so ist der Ansatz analytisch, also von der Analysis herkommend. Das kommt daher, dass die Peano Axiome eine abzählbare Menge definieren, während der Stetigkeitsbegriff nur auf einer vollständigen Menge wie den reellen Zahlen möglich ist, und diese sind eben überabzählbar.
Freundliche Grüsse, Ralf