Hallo liebe Gemeinde, ich möchte hier im Voraus eine Bitte die mir via Mail zugekommen ist gerecht werden. Ich werde zum Hintergrund hier im Forum noch einiges Nachreichen. Hier aber nun Dr. Markus Pössel:
Dr. Markus Pössel, 17. Juli 2010, 20:00 hat geschrieben:
Diskussionen mit unorthodoxen Kritikern
Als Wissenschaftler, der sich seit längerem intensiv mit den Relativitätstheorien Albert Einsteins befasst, und als Redakteur eines allgemein verständlich gehaltenen Webportals zu diesen Theorien (Einstein Online) bekomme ich regelmäßig Zuschriften von Menschen, die Einsteins Theorien für Unfug, längst widerlegt oder anderweitig widersinnig halten. Meiner Erfahrung nach beruhen diese Zuschriften (mit wenigen Ausnahmen) auf letztlich einfachen Missverständnissen dessen, was die Spezielle Relativitätstheorie aussagt. Solche Zuschriften bekommen viele Physiker und Astronomen (vgl. Carolin Liefkes Blogeintrag ); andere Fachgebiete dürften ähnliches kennen. Diese Korrespondenten, die ja oft auch im Internet aktiv sind, meine ich, wenn in dem nachfolgenden Text von "unorthodoxen Kritikern" die Rede ist.
Ich hatte bis vor kurzem einen E-Mail-Wechsel mit einer unorthodoxen Kritikerin, den ich mich jetzt entschlossen habe, abzubrechen (und dem zuvor ein längerer Mail Wechsel 2008 mit der gleichen Korrespondentin vorausgegangen war). Da ich schon länger vorhatte, die Frage, wie man als Wissenschaftler mit solchen Zuschriften umgehen sollte, hier zur Diskussion zu stellen, habe ich beschlossen, den ursprünglich als abschließende E-Mail an meine Korrespondentin gedachten Text leicht redigiert zum Kern eines Blogbeitrags zu machen. Hier also der (nunmehr offene) Brief; im Anschluss folgen noch einige weitere Kommentare:
Hier, wie versprochen, weiteres zu den Hintergründen meiner Entscheidung, unseren E-Mail-Wechsel zu beenden.
Ich bin zu Diskussionen kritischer Einwände gegen die Spezielle Relativitätstheorie durchaus bereit. Ich finde es allgemein wichtig, dass Wissenschaftler den Dialog mit der Öffentlichkeit suchen, und die Spezielle Relativitätstheorie erfordert in der Tat einiges an Mitdenken – und bietet, eben weil Raum und Zeit in dieser Theorie eine Reihe aus dem Alltag gänzlich ungewohnter Eigenschaften an den Tag legen, leider auch die Möglichkeit für Missverständnisse.
Bitte haben Sie aber andererseits Verständnis dafür, dass ich mir, wie jeder Mensch, Gedanken machen muss, wie ich meine Zeit effektiv nutze. In dieser Situation heißt das: Mache ich mich daran, eine ausführliche Antwortmail zu einer Ihrer Fragen zu den Grundlagen der Speziellen Relativitätstheorie zu verfassen, oder stecke ich exakt denselben Arbeitsaufwand in einen – thematisch meinetwegen ruhig sehr ähnlichen – Artikel für Einstein Online, mit dem ich ein deutlich weiteres Publikum erreichen kann, bei dem ich zudem Struktur und Übersichtlichkeit optimieren und dafür sorgen kann, dass der Text mit den anderen Inhalten, die ich online stelle, gut vernetzt ist?
Insbesondere muss ich mich nach entsprechenden negativen Erfahrungen für jede Diskussion fragen, wo sie im Spektrum zwischen einem konstruktiven Austausch von Argumenten einerseits und fruchtlosen Schaukämpfen andererseits anzusiedeln ist. Dabei spielen natürlich eine ganze Reihe von Eindrücken und Einschätzungen eine Rolle – so werde ich z.B. immer dann skeptisch, wenn der Diskussionspartner allzu ungestüm an die Öffentlichkeit drängt (etwa wie Sie den E-Mail-Wechsel, ohne mich zu fragen, "live" ins Internet stellt, oder vorsichtshalber gleich die Bundesforschungsministerin ins Cc setzt). Aber letztlich sind für mich die folgenden Kriterien entscheidend:
Zu einer Diskussion gehören (mindestens) zwei
Ist mein Korrespondent überhaupt bereit, sich auf eine richtige Diskussion einzulassen, sprich: auf ein systematisches Austauschen und Abwägen von Argumenten?
Ich versuche in Diskussionen, mich jeweils auf eine spezifische Frage zu konzentrieren, dort dann allerdings in die Einzelheiten zu gehen: Bei welchen Aussagen sind ich und mein Diskussionspartner uns noch einig? Wo exakt beginnen die unterschiedlichen Auffassungen? Dort, wo die Auffassungen auseinander gehen: Was sind die Argumente für meine Sichtweise, was die für die Sichtweise meines Korrespondenten?
Ohne dieses in-die-Tiefe-gehen und direkt-aufeinander-eingehen haben wir es aus meiner Sicht gar nicht mit einer richtigen Diskussion zu tun. Wenn mein Korrespondent immer dann, wenn es konkret wird und wir zu jenem spannenden Punkt kommen, wo jeder die Karten auf den Tisch legen muss, ausweicht und einfach nicht mehr auf meine konkreten Nachfragen eingeht, sondern z.B. gerade dann demonstrativ ein anderes Thema in den Vordergrund rückt, habe ich dementsprechend den Eindruck, er sei an einer richtigen Diskussion gar nicht interessiert (so ja z.B. in unserer 2008er-Diskussion in Ihrer Mail vom 2./3.11.2008).
Umgang mit dem Ausufern
Um fruchtloses Ausufern einer Diskussion zu vermeiden, bitte ich meine Korrespondenten üblicherweise, die aus ihrer Sicht wichtigste Fragestellung zu benennen und die Diskussion zunächst auf diese Fragestellung zu beschränken.
Lässt sich mein Korrespondent nicht darauf ein, ist das ein weiteres Warnzeichen, denn leider habe ich in solchen Diskussionen schon allzu oft etwas erlebt, das man in den Fällen, in denen Absicht dahinter steckt, als "Lawinentaktik" bezeichnen könnte: Man schiebe auf jede Antwort zwei neue Fragen nach; dann ist schnell der Punkt erreicht, wo der Diskussionspartner aus Zeitgründen nicht mehr auf all die parallelen Diskussionsstränge eingehen kann, und man kann ihm vorwerfen: Sie ignorieren ja meine Argumente X, Y und Z!
Dass sich auf diese Weise auch ohne jegliche Sachkenntnis oberflächlich "punkten" lässt, liegt auf der Hand. Ebenso stimmt natürlich, dass nicht jeder Lawineneffekt Absicht voraussetzt; trotzdem ist diese Art von Ausufern, insbesondere mit entsprechenden Vorwürfen gepaart, für mich ein deutliches Warnzeichen. Auch in dieser Hinsicht gab es bei unserer 2008er-Diskussion ja durchaus Probleme.
Was wird daraus?
Wenn ich realistisch damit rechnen muss, dass meine Texte als "Wort-Steinbruch" verwendet, Teilaussagen aus dem Zusammenhang gerissen und diejenigen Aussagen, die nicht in eine meinem Korrespondenten genehme Fehldeutung passen, unter den Teppich gekehrt und ignoriert werden, dann ist eine Diskussion natürlich für mich nicht nur Zeitverschwendung, sondern eindeutig kontraproduktiv.
Auch in dieser Hinsicht habe ich mit Ihnen schlechte Erfahrungen gemacht. Verkürzt, um die Meta-Ebene nicht allzu lange zu verlassen: Sie haben aus meiner Aussage "Die Lorentzkontraktion ist keine materielle Stauchung [also nicht analog zum Einspannen in einen Schraubstock], sondern ein vom Bezugssystem abhängiger Effekt direkt analog zur Relativgeschwindigkeit" den ersten Teil abgetrennt, ihm eine dem zweiten Teil der Aussage widersprechende eigene Deutung angehängt (sinngemäß "Markus Pössel behauptet, bewegte Objekte behielten ihre Ruhelänge unverändert bei") – und seither dient mein Name ihnen im WWW und in diversen Foren als Label, um physikalisch unsinnige Aussagen unters Volk zu bringen, die ich nie getätigt habe.
Dann hatten Sie bei Ihrer neuen Anfrage leider gleich noch eins draufgesetzt; wieder zugespitzt verkürzt:
Ich: "Aus meiner Sicht ist es höchst unerfreulich und insbesondere keine 'Klärung', wenn Sie Aussagen von mir aus dem Zusammenhang reißen."
Sie: "Dass Sie eine Klärung unerfreulich finden, kann ich nicht nachvollziehen."
Ich: "..." [erst einmal sprachlos, dann: dieser Blogbeitrag samt der kurzen begleitenden E-Mail an Sie].
Damit war für mich in diesem Falle das Maß voll. Wo selbst solche einfachen Aussagen dermaßen unangenehm verzerrt zu mir zurückgespiegelt werden, sind Hopfen und Malz verloren. Solches Verhalten ist für mich ganz allgemein inakzeptabel.
Mein Fazit
All diese Gründe zusammengenommen, und unter Berücksichtigung meiner Erfahrungen mit unserem E-Mail-Wechsel von 2008, bin ich zu der Entscheidung gekommen, diese Korrespondenz zu beenden.
Das soll Sie nicht davon abhalten, mir auch weiterhin gelegentlich konkrete Verständnisfragen zur Speziellen Relativitätstheorie zuzuschicken. Ich nehme Ihre Zuschriften geeignetenfalls gerne als Anregung für Vertiefungsthemen für Einstein Online (aktuell schreibe ich z.B. gerade an einem Text, der auf potenzielle Missverständnisse dazu eingeht, was für einen Status relative Messgrößen haben – solche Missverständnisse kamen ja u.a. in unserer 2008er-Korrespondenz vor). Außerdem arbeite ich – allerdings nur nebenbei, da sich mein Schwerpunkt in den letzten Jahren deutlich in Richtung Astronomie verschoben hat – an einem Projekt, den populärwissenschaftlich gehaltenen Rubriken von Einstein Online eine Ebene hinzuzufügen (Arbeitstitel "Einstein verstehen"), in der die Grundzüge der Speziellen Relativitätstheorie systematisch und mit einfacher Schulmathematik erklärt werden. Auch dort sollten Sie dann Antworten auf eine Reihe Ihrer elementaren Verständnisfragen finden können.
Warum überhaupt?
Am Trennungsstrich endet der eigentliche offene Brief. Hier noch einige Anmerkungen zu einer Frage, die mir Freunde und Kollegen schon mehrfach gestellt haben: warum ich mich unter solch unguten Bedingungen überhaupt auf Diskussionen mit unorthodoxen Kritikern einlasse.
Zum einen: Ich widme einen großen Teil meiner Arbeit der Kommunikation von wissenschaftlichen Inhalten. Deswegen widerstrebt es mir – trotz aller negativen Erfahrungen – prinzipiell, bei kritischen Anfragen gleich abzublocken. Wenn als Reaktion auf Vorträge, Artikel, Blogeinträge, Bücher etc. kritische Nachfragen kommen, ist das schließlich zunächst einmal ein positives Zeichen, denn es zeigt, dass die Leute mitdenken, sich nicht einfach passiv informieren (oder unterhalten) lassen, sondern engagiert auf das reagieren, was ich ihnen mitteile. Sicher muss man in problematischen Fällen auch sagen können: (Ab) hier ist eine Diskussion nicht (mehr) sinnvoll. Aber das sollte nur eine Notlösung für besondere Fälle sein.
Zum zweiten: Wissenschaft hat einen Allgemeinheitsanspruch. Zu den Einzelheiten, dem Gültigkeitsbereich und den Problemen findet man bei unterschiedlichen Wissenschaftstheoretikern und -philosophen durchaus unterschiedliche Einschätzungen, aber der Kern zumindest des Selbstverständnisses vieler (Natur-)Wissenschaftler ist, zugespitzt: Ebenso wie wissenschaftliche Experimente die gleichen Ergebnisse liefern sollten, egal wer sie in welchem Umfeld ausführt – ein Stein, den man loslässt, fällt nach unten, egal ob in Ohio oder in Heidelberg – sollten auch wissenschaftliche Theorien und ihre argumentative Begründung so formuliert sein, dass jeder rationale Mensch sie im Prinzip nachvollziehen kann.
Ich bin nicht Wissenschaftsphilosoph genug, um die begrifflichen Schwierigkeiten (was ist in diesem Zusammenhang "rational"? Was heißt hier "im Prinzip"?) befriedigend auflösen zu können. Für mich ist der Allgemeinheitsanspruch zunächst einmal ein erstrebenswertes Ideal, aus dem konkrete Fragestellungen für meine Arbeit folgen: wie viele und welche Inhalte einer Wissenschaft kann man einem Nicht-Fachwissenschaftler vermitteln? Wie lassen sich die Grenzen, die sich dabei bemerkbar machen, möglichst weit hinausschieben? Inwieweit bleiben innere Struktur und Kernaussagen einer Theorie bei der Vereinfachung erhalten, und umgekehrt: wie vereinfacht man so, dass möglichst viel davon erhalten bleibt? Welche Möglichkeiten gibt es (insbesondere physikalischen) Theorien auf den Zahn zu fühlen, ohne gleich alle Einzelheiten des Formalismus zu verstehen? (Letzteres ein für mich besonders spannendes Thema – einfache Abschätzungen von Größenordnungen sollten, wie ich finde, sowohl in gehobener Populärwissenschaft wie auch in Schule und Studium eine viel größere Rolle spielen.)
Andererseits ist der Allgemeinheitsanspruch etwas, dessen Grenzen und Subtilitäten sich durchaus praktisch erkunden lassen: In Diskussionen mit (physikalischen/astronomischen) Laien, in Diskussionen und in der Interaktion mit Schülern und eben auch in den hier geschilderten Diskussionen, in denen es um "Kritik von außen" geht. Letzteres ein besonders interessanter Fall, da ja beide Parteien sich jeweils für rational halten, Rationalität als Kriterium prinzipiell anerkennen, und doch zu radikal gegenteiligen Schlüssen kommen – was der Situation aus Sicht eines äußeren Beobachters, der die Fachargumente nicht oder nur unvollständig nachvollzieht, eine gewisse Symmetrie verleihen dürfte. Für diese Situation waren meine bisherigen derartigen Diskussionen interessante Testfälle, und all das, was ich oben als Warnglocken angeführt habe, lässt mich optimistisch vermuten, dass es in der Tat auch für nicht fachlich vorgebildete Außenstehende weitgehend möglich sein müsste, den Verlauf einer Diskussion der hier beschriebenen Art zutreffend zu beurteilen – wenn sie denn z.B. einen Blick für die Lawinentaktik und für die anderen Warnglocken entwickeln, und insbesondere einschätzen lernen, welcher der Diskutanten sich um eine thematische Zuspitzung der Diskussion bemüht und wer solch einer Zuspitzung ausweicht.
Wie halten es andere Wissenschaftler, Studenten, Journalisten? Wie sollte man als Wissenschaftler sinnvoll mit der hier geschilderten "Kritik von außen" umgehen: Ignorieren? Auswählen – nach welchen Kriterien? Was für Möglichkeiten gibt es noch? Wie ist es in anderen, politisch deutlich brisanteren Diskussionen ähnlicher Art, etwa zu Themen wie Klimawandel? Das sind die Fragen, die ich an dieser Stelle gerne diskutieren würde.
Ich möchte vermeiden, dass die Diskussion dieses Blogbeitrags von denselben Problemen beeinträchtigt wird wie die darin beschriebenen Diskussionen. Daher werde ich die Kommentare (in diesem Blog: erstmals) konsequent moderieren. Um Ausufern und Abschweifen zu begrenzen, behalte ich mir vor, Diskussionsbeiträge, die sich nicht auf die im vorangehenden Absatz genannten Fragen beziehen, zu löschen. Insbesondere möchte ich damit vermeiden, dass die Diskussion von der Meta-Ebene, die mich in diesem Falle interessiert, zu den diversen Fachfragen zu Relativitätstheorie, Klimawandel o.ä. abschweift. Außerdem möchte ich, dass zukünftige Leser alle Argumente dieser spezifischen Diskussion direkt und vollständig auf den Seiten dieses Blogbeitrags finden. Daher bitte ich die Diskutanten, auf externe Links zu verzichten und behalte mir vor, Beiträge, die sich nicht an diese Vorgabe halten, ebenfalls zu löschen.
Meine eigenen Antworten werde ich der Übersichtlichkeit halber (dem Beispiel der KlimaLounge folgend) farblich abgehoben direkt an den Kommentar anhängen, auf den ich antworte.
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