Britta hat geschrieben:Was ist denn genau aktenkundig, was auch eindeutig bewiesen ist?
Hallo Britta,
bei politischen Fragestellungen wird es nicht möglich sein, eine Beweisqualität zu erhalten, die mit denen der Naturwissenschaften vergleichbar wäre. Auch andere historisch klar belegte Begebenheiten sind nicht "beweisbar". Es ist durchaus möglich, dass beispielsweise alle relevanten Quellen betreffend Julius Cäsar oder John F.Kennedy gefälscht wurden.
Noch schwieriger wird es ohnehin, wenn man während einer militärischen Auseinandersetzung Informationen erhält, weil typischerweise keine Seite an der Verkündigung der reinen Wahrheit interessiert ist. Auch Augenzeugenberichte bilden nur eine kleine Teilmenge Betroffener und können erst viel später durch ausführliche Archivarbeit in den richtigen hiostorischen Kontext gesetzt werden.
Britta hat geschrieben:So extreme Lügen und üble Behauptungen wie zum Libyenkrieg, wo man die Uhr danach stellen konnte, wann das Dementi kommt, habe ich zuvor noch nicht erlebt.
Es wird wohl dennoch der Fall gewesen sein, sei es im 2.Weltkrieg, unter Stalin oder im Jugoslawienkrieg.
Britta hat geschrieben:Es gab schon zu Anfang sehr seriöse Quellen und da deren Angaben nicht zu leugnen waren, mußte auch der Mainstream darüber berichten, wenn er sich dabei auch nicht besonders viel Mühe gegeben hat.
Die von Uli genannten Links über AI haben mich nicht extrem überzeugt, ich mag mich in dieser Einschätzung aber irren.
Britta hat geschrieben:Um das Leben von Zivilisten in Benghazi zu schützen, hat man die Zivilisten von Sirte, Bani Walid und vielen anderen Städten bombardiert? Das soll "Schutz der Zivilbevölkerung" sein? Dieser Krieg hat so viele Tote gefordert, dass man wirklich nicht vom Schutz von Zivilisten sprechen kann, zumal Wasser- und Stromversorgung, Krankenhäuser, Fabriken, Ölanlagen und TV-Sender bombardiert wurden.
Moment Moment, die Nato hat nicht Zivilisten bombardiert. Es sei denn, Du bezeichnest die Kämpfer Ghadhafis als Zivilisten.
Britta hat geschrieben:In Sirte und Bani Walid hatte man Strom- und Wasserversorgung zuerst bombardiert. Bei 2 Monaten Bombardement hat man also die Zivilbevölkerung 2 Monate ohne Wasser und Strom gelassen. Das rote Kreuz lies man auch nicht in die Stadt, obwohl man wußte, dass es viele Verwundete in der Zivilbevölkerung gab.
Das ist schon etwas anderes. Wer ist übrigens "man": Die Rebellen ?
Britta hat geschrieben:Nun, hilflos war er nicht, er hat ja an vorderster Front gekämpft und sich nicht verkrochen, wie es die Medien gerne darstellen.
Gibt es irgendeinen Fragezeichen-Smiley ? Ghadhafi wäre ein verantwortungsloser Dummkopf gewesen, hätte er an vorderster Front gekämpft: Er hatte doch genügend Leute, die rein altersbedingt weit besser kämpfen konnten als er.
Britta hat geschrieben:Hilflos nur in dem Moment, wo er sein Autokonvoi von der NATO aus der Luft angegriffen wurde und die Rebellen ihn dann in Überzahl nur noch abholen brauchten. Was dann geschah, war widerlich und menschenunwürdig.
Siehe eben und meinen letzten Beitrag an Uli.
Britta hat geschrieben:Sein Sohn wurde lebend gefangen. Bilder zeigen ihn in der Gefangenschaft der Rebellen, wie er eine Zigarette raucht. Er starb durch einen Genickschuß.
Ghadhafi wurde meines Wissens auch lebend gefangen. Wobei das nun nur Details sind.
Britta hat geschrieben:Die Jubelbilder zeigen auch nur die Menschen, die an diesen Freude-Kundgebungen teilgenommen haben. Diejenigen, die zuhause blieben zeigen sie nicht.
Klar, die Leute, die Ghadhafi aufgeboten hat, um ihn zu bejubeln, zeigen auch nur das. Aussage gegen Aussage. Welche mag wohl stimmen ? Ist übrigens in jeder militärischen Auseinandersetzung so.
Britta hat geschrieben:Die Begründung für das anonyme Verscharren war, sie wollten nicht, dass sein Grab zur Pilgerstädte wird. Wenn er aber so ein Monster war und von Allen gehasst wurde, wieso haben sie dann Angst, dass sein Grab zur Pilgerstädte wird?
Geben wir die Frage an Leute wie Saddam Hussein oder Bin Laden weiter. Selbst das Grab von Rudolf Hess hat zahlreiche Verehrer von Rang und Namen !
Britta hat geschrieben:Wieso eigentlich Schreckensherrschaft?
Nehmen wir an, Ghadhafi hätte sich schon früher gestellt und wäre in Den Haag freigesprochen worden und nach Libyen zurücgekehrt. Was hätte er dort wohl gemacht ?
Britta hat geschrieben:Der Human Development Index von Libyen war der höchste von ganz Afrika. Unter einer Schreckensherrschaft wären da nicht die Menschen bettelarm, würden früh sterben und hätten eine hohe Kindersterblichkeit?
Ähm - nur Mittelwert oder auch Standardabweichung ?
Britta hat geschrieben:Gaddafi hat für kostenlose Bildung gesorgt. Wer studieren wollte, bekam das sogar auf Staatskosten im Ausland finanziert, ohne dafür verschuldet zu sein. Der libysche Staat übernahm alle Kosten. Ein dummes Volk sind die Libyer also auch nicht, dank Gaddafi. Ein Volk mit einer hohen Bildung würde sich eine "Schreckensherrschaft" nicht lange gefallen lassen.
Dann hätte das Volk auch keinen Anlass gehabt, die Rebellen zu unterstützen. Bis die NATO (endlich) eingegriffen hat es ja schon zahlreiche Todesopfer gegeben.
Britta hat geschrieben:Die Ermordung wäre nicht passiert, wenn die NATO sich nicht eingemischt hätte. Die Rebellen haben keinen Rückhalt in der libyschen Bevölkerung. Noch nichtmal ihre eigenen Stämme stehen zu 100% hinter ihnen. Die Ermordung Gaddafis war nur durch die NATO möglich.
Dass die Ermordung nicht passiert wäre ist wohl richtig. Aber nicht wegen des Rückhaltes in der libyschen Bevölkerung, sondern weil Ghadhafi's Militär ohne Rücksicht dafür gesorgt hätte. Du erinnerst Dich sicherlich noch, dass die Rebellen anfangs militärisch völlig unzurreichend ausgerüstet waren und überhaupt keine Chance gegen Ghadhafis Militärapparat gehabt hätten.
Britta hat geschrieben:Wenn die NATO sich nach der Errichtung der Flugverbotszone zurückgezogen hätte, ja selbst wenn sie alle Panzer und Militärfahrzeuge und sämtliche Militärischen Einrichtungen zerstört hätte, hätten die Rebellen nicht gewinnen können. Sie konnten nur gewinnen, weil die NATO jeden Widerstand der Zivilbevölkerung gegen die Rebellen aus der Luft zerbombt hat. 7 Monate Dauerbombardement zeigen das recht deutlich.
Nein, das ist wohl völlig unrealistisch. Ohne Infrastruktur hätten Ghadhafis Getreue keinerlei Chance gehabt.
Britta hat geschrieben:Wer hat hier wen gehasst? Das der Stamm der Rebellen Gaddafi gehasst hat, ist klar. Aber woran willst du festmachen, dass ganz Libyen Gaddafi gehasst hat?
An den Ereignissen der vergangenen Jahrzehnte. Wobei gewiss nicht "ganz" Libyen: Diejenigen, die von Ghadhafi profitiert haben, werden ihn kaum gehasst haben.
Britta hat geschrieben:Unter der Rebellenführung wird Libyen auch kein Rechtsstaat werden.
Das stimmt, weil sich die Stämme uneins sind.
Britta hat geschrieben:So bereiten sich die Rebellen schonmal auf die ersten demokratischen Wahlen vor, indem sie mögliche Kandidaten versuchen zu ermorden. Dr. Abuzaid Dorda wäre so ein Kandidat. Im libyschen Volk sehr beliebt. Vor ein paar Tagen warf man ihn aus dem Fenster, nachdem man ihn verprügelt hatte. Es soll Abdelhakim Belhaj’s Tripoli Brigade gewesen sein, die ihm das antat. Man verweigert ihm medizinische Hilfe. Seine Familie läßt man auch nicht zu ihm.
Ja, so Sachen passieren während einem Machtvakuum. Nicht nur in Libyen.
Britta hat geschrieben:Das libysche Volk hatte wahrscheinlich eine viel direktere Demokratie, wie die Schweizer. Die Libyer durften jedes Jahr neu wählen und mußten darauf nicht 4 oder 5 Jahre warten, so wie wir. Es wäre dem libyschen Volk jederzeit möglich gewesen, Gaddafi abzuwählen.
Das behaupten alle Despoten, ich glaube aber nicht, dass es sehr ratsam war, gegen Ghadhafi zu stimmen.
Britta hat geschrieben:Was bedeutet es, wenn auf großen Demonstrationen - Massendemonstrationen - die Menschen das Bild eines Mannes hochhalten und küssen? Für mich sehen Pro-Gaddafi Demonstrationen nicht nach Hass aus, oder gar danach, dass man diese Leute dazu gezwungen hätte, sein Bild hochzuhalten. Westlichen Politikern kann das nicht passieren.
Ja natürlich werden die Pro-Ghadhafi-Leute ihn nicht gehasst haben.
Und ja, vielleicht gab es arrangierte Pro-Ghadhafi-Demonstrationen und arrangierte Anti-Ghadhafi-Demonstrationen. Es ist schwierig, aus sowas eine "Wahrheit" ableiten zu wollen.
Britta hat geschrieben:Schon gleich zu Anfang des Libyenkrieges fand sich eine West Point Studie (ist hier im Thread verlinkt) die sich mit Al Qaida-Terroristen befasste. Sie beruht auf Dokumenten, die die US-Army erbeutet hat und enthält die Namen vieler AlQaida Mitglieder aus Libyen. Ein paar saßen sogar in Guantanamo und wurden von der CIA gefoltert, wie z.B. Abdelhakim Belhaj, der jetzt Militärchef in Libyen ist. In dieser Studie findest du fast die komplette Führungsriege des TNC, die schon bald als "Übergangsregierung" anerkannt wurde.
Haben diese Leute noch bis vor kurzem in Afghanistan und Irak gegen die NATO gekämpft, wurden sie jetzt von der NATO zur libyschen Regierung gekrönt.
Aha, die bekannte These, dass es sich bei diesen Leuten um furchtbar böse Terroristen handelt. Putin machte das bezüglich Tschetschenien übrigens auch so.
Britta hat geschrieben:Die Zahl der Rebellen wurde von Anfang an auf 4.000 - 8.000 Mann geschätzt. Inzwischen spricht man von 50.000 toten Zivilisten. Der Leichenberg der NATO ist also um ein vielfaches größer.
Ich verstehe den Zusammenhang dieser beiden Zahlen nicht.
Britta hat geschrieben:Gaddafi hätte auch nicht auf Zivilisten geschossen, sondern auf bewaffnete Aufständische, die schon lange zuvor von ausländischen Geheimdiensten mit Waffen ausgerüstet worden waren und die niemals friedlich demonstriet haben, sondern gleich zu den Waffen griffen.
Ups ups, im Argument kommt wieder einmal das Wort "Geheimdienst" vor. Dass Ghadhafi auf bewaffnete Aufständische geschossen hat, hat man ihm übrigens nicht vorgeworfen, sondern eben - dass er auf Zivilisten geschossen hat.
Britta hat geschrieben:Jede Regierung der Welt hat das Recht und die Pflicht, einen bewaffneten Aufstand einer Minderheit, der das Leben von Zivilisten gefährdet, niederzuschlagen. Das war in Libyen der Fall und ist es auch in Syrien.
Satz 1 ja, Satz 2 nein.
Britta hat geschrieben:Gaddafi war dabei, Reformpläne umzusetzen. Der letzte UNHCR-Bericht über Libyen ist voller Lobes aller Länder über die jüngsten Errungenschaften.
Na ja, Du weisst aber auch, wie man solches "Lob" in der Sprache der Diplomatie zu interpretieren hat.
Britta hat geschrieben:Nachdem die Sanktionen gegen Libyen abgeschafft waren, hat Gaddafi an der Entwicklung Libyens in einem Supertempo gearbeitet.
Supertempo ? Kam aber offenbar nicht allzurasch voran ...
Britta hat geschrieben:Sein Traum war ein vom Westen unabhängiges Afrika.
Gut, den Traum haben viele und der ist ja nicht nur legitim, sondern auch zu unterstützen. "Afrika" ist aber nicht das, was die Herrschergilde darunter versteht, sondern das, was die Bevölkerung Afrikas darunter versteht.
Freundliche Grüsse, Ralf